Nach Jahrzehnten sicherer Versorgung mit billigem Öl wurde den Industrienationen des Westens im Jahr 1973 das erste Mal ihre starke Abhängigkeit ihrer Energieversorgung vor Augen geführt. Damals etstand die Internationale Energieagentur (IEA) und die darin versammelten Nationen legten sich strategische Ölreserven an. Aber wie werden diese Reserven im Fall des Falles verwendet? Ein Überblick...
Durch den Einmarsch Ägyptens nach Israel am Nationalfeiertag Yom Kippur 1973, der dem Konflikt seinen Namen gab (Yom-Kippur Krieg), schoss der Ölpreis in die Höhe. Grund dafür war ein Ölembargo, dass die arabischen Staaten als politische Antwort auf die militärische Unterstützung Israels gegen die USA und ihre westlichen Alliierten (Anfangs nur die Niederlande, später auch Portugal, Südafrika und Sambia) verhängt hatten. Obwohl der Westen zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Mal in der Geschichte mit einer drohenden Ölkrise konfrontiert gewesen war – zum ersten Mal 1956 im Zuge der Suezkrise und 1967 durch den Sechs-Tage-Krieg – war dieses Mal alles anders. In der Vergangenheit hatten andere Länder, vor allem die USA, die Verluste in der Ölproduktion ausgleichen können, indem sie ihre eigene Produktion ausweiteten. Doch Anfang der 70er waren die Überschusskapazitäten in den USA verschwunden. Der Westen war nicht mehr in der Lage, seine Produktion in nennenswertem Maße auszuweiten, um dem Embargo der arabischen Länder entgegenzuwirken. Obwohl andere Produzenten wie der Iran und der Irak ihre Produktion ausweiteten, entstand, vor allem durch die Drosselung der saudischen Ölproduktion um 5 Millionen Barrel pro Tag, eine Lücke von etwa 9% zwischen dem weltweiten Angebot und der Nachfrage. Das Resultat war Panik am Ölmarkt, wo zu dieser Zeit niemand von den Dimensionen wusste, um die es sich handelte. Unsicherheit und Ängste bestimmten den Handel, der den Ölpreis in die Höhe trieb. Niemand wusste, wie lange das Embargo anhalten würde, ob es auf weitere Länder ausgeweitet werden würde oder wie stark der Preis in Zukunft steigen würde. Panikkäufe trieben den Preis weiter in die Höhe und ließen die Wirtschaft in eine Abwärtsspirale trudeln. Das Resultat war Stagflation, steigende Inflation durch hohe Ölpreise gepaart mit wirtschaftlicher Stagnation.
Nach dem Schock und den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verwerfungen, die er mit sich zog, ergriffen die Industrienationen eine Reihe von Maßnahmen, um ihre Abhängigkeit von Ölimporten zu reduzieren und ihre Krisenfestigkeit zu erhöhen. Der Aufstieg der Atomindustrie in vielen Ländern, vor allem in Frankreich, Japan, aber auch in Deutschland, war zum großen Teil durch die Energiekrisen von 1973 und 1978/80 vorangetrieben worden. Effizienzmaßnahmen wurden überall auf der Welt forciert, um den Ölkonsum zu reduzieren und die Internationale Energieagentur (IEA) wurde zur Koordination zukünftiger Krisen ins Leben gerufen.
Und man richtete in vielen Ländern strategische Reserven ein, um einen Puffer für kurzfristige Ausfälle von Ölimporten zu schaffen. In der Bundesrepublik Deutschland schreibt das Erdölbevorratungsgesetz (ErdölBevG) die genauen Modalitäten vor, die für unsere strategische Reserve gelten. Es schreibt vor, Reserven von 90 Tagen in den folgenden drei Erzeugnisgruppen vorzuhalten:
- Motorenbenzin, Flugbenzin, Flugturbinenkraftstoff auf Benzinbasis
- Dieselkraftstoff, leichtes Heizöl, Leuchtöl, Flugturbinenkraftstoff auf Petroleumbasis und
- mittelschweres oder schweres Heizöl
Entgegen der typischen Annahme, der Verbrauch diene dabei als Grundlage, besagt das Gesetz im Wortlaut, es sind „ständig Vorräte in der Höhe zu halten, in der die genannten Erzeugnisse in den letzten drei Kalenderjahren durchschnittlich im Laufe von 90 Tagen pro Jahr eingeführt und im Geltungsbereich dieses Gesetzes hergestellt worden sind.“
Das heißt nichts anderes, als dass nicht der Verbrauch, sondern inländische Produktion und Import als Grundlage dienen. Da die Mengen von Herstellung und Import aber langfristig denen des Verbrauchs recht nahe kommen, ist diese Unterscheidung wohl nur aus Gründen einfacherer Verwaltung vorgenommen worden.
Mitglieder des verantwortlichen Erdölbevorratungsverbandes sind laut dem Gesetz zwangsweise alle Importeure und Hersteller von Produkten, die in eine der drei Kategorien fallen (Ausgenommen sind Einfuhren in den Treibstofftanks von Fahrzeugen, damit nicht jeder, der aus dem Urlaub kommt und dort getankt hat oder über die Grenze fährt um zu Tanken, Mitglied im Verband wird). Um für die Kosten aufzukommen wird für jede Tonne Ölprodukt ein Beitrag erhoben, der sich entsprechend der Produktgruppen folgendermaßen aufteilt:
Erzeugnisgruppe 1 (Motorenbenzin, Flugbenzin, Flugturbinenkraftstoff auf Benzinbasis): 4,90 €/t (3,70 €/cbm)
Erzeugnisgruppe 2 (Dieselkraftstoff, leichtes Heizöl, Leuchtöl, Flugturbinenkraftstoff auf Petroleumbasis): 3,79 €/t (3,20 €/cbm)
Erzeugnisgruppe 3 (mittelschweres oder schweres Heizöl): 3,30 €/t
Da diese Kosten von den Unternehmen auf den Verbraucher umgelegt werden, bezahlt jeder Nutzer von Ölprodukten (also wir alle) die strategische Reserve der Bundesrepublik mit.
Die durch den Verband angelegte Reserve ist laut Gesetz regional ausgewogen zu verteilen, obwohl verstärkte Lagerung in einer bestimmten Region zulässig ist, wenn die Versorgungssicherheit in allen Regionen bereits sichergestellt ist und es wirtschaftlich oder technisch notwendig ist. Damit schreibt das Gesetz einen dezentralen Lageransatz vor, um im Notfall kurze Wege zum Ort des Bedarfs zu haben. Ebenso ist anzumerken, dass die tatsächlichen Lagermengen in Deutschland deutlich größer sind als die vorgeschriebene Menge. Für 2010 entsprach der Pflichtvorrat von 90 Tagen ca. 20,5 Mio t Rohöl und Ölprodukte. Allein vom Bevorratungsverband wurde diese Zahl um etwa 1,1 Mio t überschritten, sodass die tatsächliche Lagermenge bei 21,6 Mio t lag. Hinzu kommen die privaten Vorräte, die in vielen Bereichen angelegt werden. Viele Verbraucher lagern Heizöl für Jahre in ihren Kellern, auch bei Industriebetrieben werden teilweise Reserven gehalten, die kurzfristige Lieferausfälle kompensieren können. Trotzdem sollte man sich keine Illusionen machen: Bei dauerhafter Störung der Öllieferungen wäre die strategische Reserve ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Aber was passiert im Falle einer Ölkrise mit den bevorrateten Mengen?
Auf Anordnung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie kann die Reserve für einen bestimmten Zeitraum und über eine bestimmte Menge freigegeben werden. So geschehen etwa im Jahr 2005 im Zuge des Hurrikans Katrina, der zum kurzfristigen Ausfall von Produktionskapazitäten im Golf von Mexiko führte und einen Ölpreisanstieg verursachte. Wenn die Freigabe sich über einen Zeitraum von weniger als 6 Monaten erstreckt, ist das Bundesministerium allein zuständig. Sollte es sich um einen längeren Zeitraum handeln, bedarf der Beschluss der Zustimmung des Bundesrates. Außerdem ist das Bundeswirtschaftsministerium bevollmächtigt, eine Zuteilung an bestimmte Abnehmer zu ermöglichen, wenn es „erforderlich ist, um die Versorgung der Bevölkerung oder öffentlicher Einrichtungen mit lebenswichtigen Gütern oder Leistungen sicherzustellen“. Ausführendes Organ ist dabei das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), das die Zuteilung im Bedarfsfall vornimmt.
Findet keine staatliche Zuteilung statt, so wird die strategische Reserve an die Mitgliedsunternehmen des Verbandes, also Produzenten und Importeure entsprechend ihrer Beitragszahlungen verteilt (die ja in direktem Zusammenhang mit importierten bzw. hergestellten Mengen stehen), die ihrerseits für die Vermarktung der Reserve sorgen.
Als Land mit internationalen Verpflichtungen ist Deutschland aber im Fall einer Krise nicht nur für die Versorgung der eigenen Bevölkerung verantwortlich. Die Öllager existieren auch, um im Falle des Falles Reserven für die IEA und für die EU aufzubringen. Im Zuge des Internationalen Energieprogramms vom 18. Oktober 1974 verpflichtet sich Deutschland zu einer solidarischen Teilung der Lasten im Falle einer Versorgungskrise. Das Prinzip „equal suffering“ wurde im Zuge der Ölkrise von 1973 erfolgreich etabliert, führte aber zu den entsprechenden Konsequenzen – nämlich, dass auch Länder, die nicht direkt vom Embargo betroffen waren, die Folgen zu spüren bekamen. Und so wird auch Deutschland seinen Anteil der Lieferkürzung abbekommen, wenn es zum Schlimmsten käme.
Reserve hin oder her – im Falle eines Falles stehen wir vor großen Schwierigkeiten. Das Umdenken muss heute beginnen, denn 3 Monate reichen ebenso wenig wie ein ganzes Jahr, um die tiefgreifenden Umbrüche meistern zu können, die sich abzeichnen. Die Erdölreserve kann kurzfristige Engpässe abfedern, aber gegen das langfristige Auseinanderdriften von Angebot und Nachfrage bietet sie keine Lösung. Nur ein rasches Umdenken und Umsteuern kann uns für diese Herausforderung wappnen. Dazu gehören mehr Energieeffizienz, dezentrale Stromversorgung aus erneuerbaren Energien, Suffizienz statt Wachstum, Regionalisierung der Produktions- und Versorgungsstrukturen und eine angemessene Risikoplanung sowohl staatlicherseits als auch im Verantwortungsbereich der Unternehmen. Wenn wir heute beginnen, uns den Herausforderungen der Zukunft zustellen, bedeutet Peak Oil nicht unbedingt einen Rückfall in die Steinzeit. Mit intelligenten Konzepten und kreativen Ideen können wir auch in Zukunft ein akzeptables Maß an Wohlstand beibehalten – und vielleicht zurückfinden zu den Dingen, die wirklich wichtig sind im Leben.