Derzeit erzeugt eine Studie von Leonardo Maugeri eine Menge Aufmerksamkeit im Internet, in der dieser die nächste Öl-Revolution ausruft und die bereits kurz nach Veröffentlichung genutzt wird, um Peak Oil als Märchen der ewigen Weltuntergangspropheten darzustellen. Demnach ist es kein Problem, die heutige Ölfördermenge von etwas über 90 Millionen Barrel Tagesproduktion auf über 110 Millionen Barrel Tagesproduktion in 2020 zu steigern. Dazu sei auch nicht mehr als ein Ölpreis von 70 US$ pro Barrel nötig. Alles was nötig ist, ist eben ein angemessener Preis, die passende Technologie und politische Rahmenbedingungen, damit die Dinge ihren Lauf nehmen. Das größte Risiko für die weltweite Ölversorgung ergibt sich demnach nicht aus der begrenzten Ölmenge im Boden, sondern aus geopolitischen Entwicklungen. Peak Oil, so stellt die Studie unmißverständlich klar, ist jedoch nicht absehbar und in diesem Sinne heute nicht relevant.
Die Studie wurde erstellt am Belfer Center for Science and International Affairs an der Harvard Kennedy School im Rahmen des Geopolitics of Energy Project. Leonardo Maugeri ist nicht irgendwer. Er war 10 Jahre lang Top-Manager beim italienischen Öl- und Gas-Riesen Eni sowie in dessen Petrochemischem Zweig Polimeri Europa. Man kann sagen: Der Mann hat Einblick.
Man kann aber auch sagen, BP hat sich von dem Eni-Kollegen eine wissenschaftlich zitierfähige Studie erstellen lassen, die die Aufmerksamkeit weg von den Risiken von Peak Oil hin zu den unkonventionellen Fördermethoden lenken soll und den politischen Raum auf passende Entscheidungen vorbereiten soll. Denn Maugeri bedankt sich artig im Vorwort der Studie bei BP:
I owe a special thanks to BP for its funding of the Geopolitics of Energy Project that made my study possible.
Ein Sponsoring ist noch kein Meinungskauf und es ist Maugeri anzurechnen, dass er den Sponsor des Projekts offen benennt, aber es sieht sehr danach aus, als hätten sich hier zwei gefunden: Der BP-Chefökonom Christof Rühl, der gern betont, dass Ökonomen (quasi) keine Knappheit kennen, sondern nur Preise und in diesem Sinne so schnell kein Peak-Problem auftreten wird sowie der Eni-Manager Leonardo Maugeri (dessen Ausflug nach Harvard Teil seines derzeitigen Sabbaticals ist), der sich in diversen Publikationen kritisch mit dem Peak-Oil-Konzept auseinandergesetzt hat - zwei Männer, die sich schon länger kennen. Darauf deutet jedenfalls die offizielle Internetseite von BP hin, wo man konstruktiv kritisch auf Peak Oil schaut und wo der Name Maugeri gleich viermal auftaucht.
Fracking. Hydraulic Frackturing und Horizontalbohrungen sind in Kombination also der Tod des hohen Ölpreises, einzig für Großbritannien, Norwegen, Mexiko und Iran sieht Maugeri einen echten Abfall der Fördermengen bis 2020. In Großbritannien und Norwegen ist schlicht zuletzt nichts mehr nennenswertes gefunden worden und der Kampf gegen die abfallende Förderung gibt auch Maugeri verloren. Dass die beiden Länder zu den Hauptversorgern Europas gehören und nun selbst bei Peak-Oil-Skeptikern als "verloren" gelten (was die Ölförderung betrifft), läßt für Europa nichts gutes erahnen. In Mexiko ist nicht nur die Depletion Rate (also die Abfallrate in der Förderkurve) schuld an der Nicht-Teilnahme an der neuen Ölrevolution, sondern vor allem das Missmanagement beim Ölkonzern Pemex und die Regierungspolitik. Maugeri sieht den nächsten Präsidentschaftswahlen in Mexiko deshalb optimistisch entgegen, denn beide Kandidaten hätten angekündigt, Pemex zu restrukturieren. Hier zeigt sich die politische Dimension, deren Relevanz für die Erdölförderung Maugeri betont: Ein einfacher Regierungswechsel kann dafür sorgen, dass Sprit bezahlbar bleibt. Für den Iran ist der Autor "pessimistisch", weil die zunehmende Isolation des fünftgrößten Ölförderers der Welt ihm neue Technologien und damit auch fremde Ölkonzerne fernhält. Die nötigen Investitionen in Höhe von 180 Milliarden US$, um die Fördermengen aufrecht zu erhalten, werden wohl nicht fließen. Abgesehen von Indonesien, dessen Ölfördersituation er für unsicher hält, geht es mit den Ölförderraten ansonsten voraussichtlich bergauf und in den USA wird es eben insbesondere das Fracking sein, das den entscheidenden Beitrag leistet.
Fracking. Es ist erstaunlich, wie sehr sich die favicons der beiden Webseiten ähneln: Jenes von BP und jenes der Grünen. Das fällt nur auf, wenn man beide Webseiten zeitgleich im Browser öffnet, um z.B. den aktuellen Bericht des grünen Bundestagsabgeordneten Oliver Krischer zum Fachgespräch über Unkonventionelle Erdgasförderung - sprich: Fracking - zu lesen. (Und parallel einen Blick in die offiziellen Aussagen von BP zu Peak Oil zu werfen.) Beyond Petroleum - nach dem Öl; bei diesem Slogan treffen sich wohl sogar grüne Vorstellungen mit denen von BP. Jene Diskussion, die Maugeri mit dem Verweis auf den Einfluss der Politik auf die Ölförderung deutlich machen will, findet hier bereits statt, denn die Politik entscheidet darüber, ob Fracking erlaubt ist oder nicht oder zu welchen Bedingungen. Zwar geht es im Bundestag derzeit nicht um die Ölförderung, sondern um die Gasförderung mit unkonventionellen Methoden, wie austauschbar die Techniken und das Personal jeweils sind zeigt die gegenläufige Entwicklung von "oil rigs" und "gas rigs" in dieser Grafik:
Die statische Reichweite der Erdgas-Versorgung in Deutschland nähert sich laut der Präsentation von Stefan Ladage der Marke von 10 Jahren. Eigenversorgung mit Gas ist schon lange kein Thema in Deutschland, der Großteil von Öl und Gas wird importiert. Mit dem vermuteten Schiefergaspotential könnte sich Deutschland (theoretisch) für 8 bis 27 Jahre selbst versorgen (praktisch lassen sich die Fördermengen nicht auf die deutsche Verbrauchsgeschwindigkeit beschleunigen). Das ist angesichts der Tatsache, dass die Fördermengen und die Reserven so drastisch zurückgegangen sind, ein Fass, dass jeder Besitzer einer Gasheizung oder Kunde eines gasverbrennenden Stadtwerkes liebend gern aufmachen würde. Doch die Risiken, das scheint auch dieses Fachgespräch zu zeigen, sind nicht vollständig eliminierbar. Oder wie es Krischer formuliert:
Es bleibt weiter unklar, wie eine Förderung von Unkonventionellem Erdgas jemals unter verträglichen Umweltbedingungen durchgeführt werden kann.
Umweltfragen hat auch Maugeri im Auge, wenn er schreibt:
A revolution in environmental and emission-curbing technologies is required to sustain the development of most unconventional oils – along with strong enforcement of existing rules. Without such a revolution, a continuous clash between the industry and environmental groups will force the governments to delay or constrain the development of new projects.
Will sagen: Wenn die Förderkonzerne es nicht schaffen, die Förderung von Öl und Gas umweltfreundlich zu gestalten, wird die Auseinandersetzung zwischen Industrie und Umweltgruppen die Regierungen dazu zwingen, neue Förderprojekte zu verzögern oder zu behindern. Maugeris schöne neue Ölrevolution wäre dann wohl dahin. Zeigt er sich in dieser Aussage dann etwa doch: Der Verweis auf einen nahen Peak im Öl?
As to the latter, this paper indicates that the problems are not beneath the surface, as “peak-oil” theorists suggest, but above it, being critically connected to political decisions and geopolitical risks. (S. 35)
Ich begreife einfach nicht, warum Leute, die sich mit der Materie bestens auskennen, die schlichte Tatsache immer wieder leugnen, das z.B. Erdöl endlich ist und in absehbarer Zeit zur Neige geht. Unglaublich !
Naja, von der Theorie her klingt es ja auch nicht so ganz unwahrscheinlich.
Wenn die Welt jede noch so “dreckige Fördermethode” ohne Rücksicht auf die Konsequenzen nutzt, wird man den Peak Oil vielleicht wirklich hinauszögern können.
Nur: Bringt das gesamt betrachtet was? Sind da die Risiken bzw. die Umweltfolgen nicht viel höher?
(siehe Klimaziel < 2°C …sonst wirds irgendwann richtig ungemütlich)
Man sollte das unvermeitliche nicht bis zum letzten Tropfen hinauszögern, wenn die Quittung dann umso bitterer ausfallen wird.
Kann das mal jemand den Politikern erklären?
[…] Schuss losgeht, flattert derzeit die (englischsprachige) Peak-Oil-Szenerie erschrocken auf. Nachdem Leonardo Maugeri seine Studie über die Möglichkeit einer neuen Ölrevolution veröffentlichte, schwor der […]
[…] Diskussion um Peak Oil, geht mit der Studie von Leonardo Maugeri in eine neue Phase – sowohl was öffentliche Problemwahrnehmung und Diskussion als auch was die […]
[…] Ginge er von einer preisdrückenden Ölschwemme aus, wie sie sein italienischer Kollege Leonardo Maugerie vorhersagt, würde er dann den Konzern auf die Ölförderung konzentrieren? Auch mit […]
[…] wie Leonardo Maugeri oder die EIA und die IEA sehen solche Entwicklungen früher. Wir "Laien" hinken ja schonmal bei […]
[…] Was der Autor ungenannt läßt: Die britischen Ölfirmen freuen sich, dass erst durch die Steuerkürzungen manche Ölvorkommen überhaupt wirtschaftlich werden. Normalerweise würde man so etwas "Subvention" nennen: Denn wenn sich ein Projekt nur rechnet, weil Privilegien gewährt werden, ist das (in)direkte Staatsunterstützung. Üblicherweise wird so etwas in Wirtschaftsmagazinen mit spitzen Fingern angefasst. Interessant wäre gewesen, wenn die Wirtschaftwoche mal kritisch beleuchtet hätte, warum denn der Ölsektor plötzlich staatliche Stützung braucht oder wie hoch der Spritpreis sein müßte, damit sich Ölexploration auch mit Staatsabgaben lohnt. Ebenfalls ohne kritische Beleuchtung bleibt, dass die Ölindustrie die Zahl der Explorationsbohrungen von jeweils 21 in den vergangenen 3 Jahren nun auf 130 Bohrungen über die nächsten 3 Jahre (=43 pro Jahr) verdoppeln will und ob es realistisch ist, dadurch jene Ölmengen zu finden, die man braucht, um das Förderniveau tatsächlich zu erhöhen. Suggestive Zwischenüberschriften im Artikel, nach denen es nur eine Frage des Willens der Unternehmen ist, die alten Förderniveaus wieder zu erreichen ("Die Förderraten sollen das alte Niveau erreichen"), täuschen Planungssicherheit in einem höchst unsicheren Gewerbe vor. Auf 2 Millionen Barrel pro Tag will die Förderindustrie die britische Ölförderung wieder bis 2017 steigern von einem 2012er Niveau von 1,55 Millionen Barrel pro Tag. Ob das möglich ist und wieviel eigentlich 2 Millionen Barrel Tagesförderung sind, erfährt der Leser nicht. 2 mb/d schaffte die britische Ölindustrie zuletzt 2004/2005, das Fördermaximum lag jedoch noch 1 Million Barrel höher: Bei 2,98 mb/d im Jahr 1999. "Das alte Niveau" wird Großbritannien wohl nie wieder erreichen, das schreibt selbst der ENI-Manager Leonardo Maugeri in seinem Fracking-Manifest. […]