Monbiots Erwachen führt weiterhin zu diversen Artikeln, die Peak Oil für erledigt erklären. Beim FREITAG ist Monbiots Artikel nun auch auf deutsch lesbar. Wo auch immer man sich für die Ölförderung der Zukunft interessiert, hört man jetzt Sätze wie "Neue Erdölvorkommen reichen für Jahrhunderte". Man zeigt den Warnern einen Vogel und kümmert sich um business as usual.
Um das Problem hinter Peak Oil zu begreifen, muss man den Unterschied verstehen zwischen Ölreserven und Förderraten. Wenn man in diesen beiden Begriffen keinen Unterschied erkennt, begreift man das Problem schlicht nicht und redet wie ein Blinder von den Farben. Es trägt zur globalen Energieversorgung rein gar nichts bei, wenn Öl im Boden liegt. Für die Ölversorgung ist nur wichtig, wieviel wir pro Tag aus dem Boden rausholen. Die geschätzten Ölreserven in irgendwelchen Öllagerstätten durch den globalen Verbrauch zu dividieren und dann auf 200 Jahre zu kommen sind deshalb erstmal nur mathematische Spielchen auf Grundschulniveau. Das Ergebnis mag uns Größenordnungen geben, aber es sagt eben nichts darüber aus: Ja und wieviel dieses Öls kommt an meiner Lieblings-Tankstelle an? Um gymnasiales Niveau bei diesen Rechenspielen zu erreichen, muss man die Förderraten berechnen, was eben dummerweise nicht durch einfache Division zu machen ist. Und das liegt an solchen Kurven, die eben exponentiell oder logarithmisch sind, aber dummerweise eben nicht linear (was eine Division rechtfertigen würde):
Diese Grafik zeigt die Tages-Fördermengen einer Bohrung ("well") aus dem vielgerühmten Ölrevier Bakken in Nord-Dakota. Unten ist das Lebensjahr der Bohrung abgetragen, links die Fördermengen in Barrel pro Tag. "Typisch" ist diese Produktionskurve nur ihrer Form wegen, nicht jedoch wegen der konkreten Daten. Das heißt: Eigentlich jede Bohrung hat einen Förderverlauf, bei dem zu Beginn der Bohrung relativ viel Öl pro Tag gefördert wird, wo jedoch die Mengen des Anfangsjahres bereits im zweiten Jahr halbiert sind und im Dritten nochmal stark einbrechen. Obige Bohrung produzierte im ersten Jahr also durchschnittlich 923 Barrel Öl pro Tag, im zweiten Jahr nur noch 436 Barrel pro Tag und im dritten Jahr nur noch 153 Barrel Öl pro Tag. Die Geologen schätzen, dass jede Bohrung etwa 30 Jahre nutzbar ist, aber diese "typische" Form der Förderkurve zeigt, dass bereits nach 3 Jahren nur noch ein Zehntel dessen aus dem Boden geholt wird, was das Anfangsjahr brachte. "Typisch" ist obige Förderkurve also vor allem wegen ihres tendenziellen Verlaufs. Doch es scheint ein besonders ertragreiches Bohrloch zu sein, denn 923 Barrel Öl pro Tag im ersten Jahr bringen die Bohrungen nicht, weniger als die Hälfte ist realistischer, wie Abbildung 4 in diesem Text zeigt: Die typische Bakken-Bohrung liefert also maximal 500 Barrel pro Tag im ersten Jahr, nur um dann genauso einzubrechen, wie obige Kurve zeigt.
Dieser extreme Förderabfall in den ersten Jahren hat geologisch-physikalische Gründe. Man versucht ihn auszugleichen, indem man "Löcher ohne Ende bohrt" - über 2000 Bohrlöcher hat Nord Dakota sich inzwischen eingefangen. Sonst wäre eine Steigerung der Ölproduktion wie sie die Gesamtförderkurve Nord Dakotas zeigt, nicht möglich:
Nur weil man "Löcher ohne Ende bohrt" ist diese Förderkurve machbar. Würde man heute aufhöhren mit bohren, würde diese Kurve binnen eines Jahres auf die Hälfte kollabieren und binnen drei Jahren auf ein Zehntel ihrer Spitze zusammenbrechen - eben genau so, wie es die oberste Abbildung für ein einzelnes Bohrloch zeigt. Nur weil man viele Bohrungen summiert kommt letztlich in Summe ein enormer Anstieg der Gesamtproduktion raus, der jedoch von einem Jahr aufs andere zusammenbrechen würde, wenn man nicht ständig neue Löcher bohrt. Die Zahl der Bohrungen ist deshalb wichtig: Je mehr man bohrt, umso größer ist die Förderrate, doch jede Bohrung benötigt Material (rigs = Bohranlagen), Ingenieure, Geld und Energie. So lange davon genug da ist, kann man bohren, bohren, bohren, doch sobald man mit dem Bohren neuer Löcher aufhört bricht die Versorgung aus diesen Feldern rasant zusammen. Um die Ölversorgung mit diesen unkonventionellen Fördertechniken aufrecht zu erhalten, muss also ein andauernder Bohrprozess in Gang gesetzt und aufrecht erhalten werden und - genau wie dieser Satz - darf er keinesfalls gestoppt werden, denn das würde einen sofortigen und drastischen Rückgang der täglich verfügbaren Ölfördermengen nach sich ziehen; und wie schon gesagt: Für das Funktionieren unserer ölabhängigen zivilisatorischen Infrastruktur ist es irrelevant, wieviel Öl im Boden schlummert, relevant ist, mit welcher Geschwindigkeit wir es aus dem Boden rausholen (Förderrate vs. Reserven!). (Die Anzahl der Bohrungen vergrößert jedoch auch die Risiken, denn je mehr Bohrlöcher, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass davon mal eines - oder mehrere - kaputtgehen und Fracking-Flüssigkeit ins Grundwasser gelangt.)
Die Fördergeschwindigkeit ist deshalb die einzig relevante Größenordnung, die entscheidet, ob wir einen Peak in die (globale) Förderkurve kriegen oder ob wir unseren tagtäglichen Ölverbrauch weiter aufrecht erhalten oder sogar steigern dürfen. In Nord Dakota mag zwar über die Zeit viel gefördert werden, aber es gibt eine Maximalrate, mit der das Öl pro Tag aus dem Boden geholt werden kann. Wo liegt diese Maximalrate?
Die maximale Förderrate hängt auch, wie diese Grafik zeigt, von der Gesamtmenge der verfügbaren Ölreserven ab. Je nachdem, ob es 7, 10 oder 14 Milliarden Barrel Öl sind, die in dieser Formation tatsächlich gespeichert sind, schätzt das North Dakota Department of Mineral Resources die maximale Förderrate auf 650.000 Fass pro Tag (schwarz, bewiesene Reserven), 800.000 Fass pro Tag (grün, wahrscheinliche Reserven) oder 1,1 Millionen Fass pro Tag (blau, mögliche Reserven). In der für die globale Ölversorgung besten Situation würde Nord Dakota also maximal 1,1 Millionen Barrel Öl zum globalen Tagesverbrauch beitragen - bei einem dauerhaften Personalaufwand von 50.000 Mann. Wahrscheinlicher sind jedoch eher 800.000 Barrel pro Tag.
Machen wir uns nichts vor: Egal wie viel Öl in Nord Dakota gefördert wird, auf den globalen Markt wird das Öl wahrscheinlich nicht kommen. Die US-Verbraucher schlucken es selbst. 1,1 Millionen Fass sind im globalen Maßstab ganz ordentlich - wir verbrauchen weltweit derzeit ca. 90 Millionen Fass. Davon schlucken allein die USA 19 Millionen Fass. 80 Mal Nord-Dakota, wie es manche in Sibirien "erhoffen", könnte global gesehen also eine Größenordnung sein, wo - rein mathematisch - die konventionelle Ölförderung durch zehntausendfaches unkonventionelles Durchlöchern der Erdkruste und Einpressen von chemieversetzten Wassern für eine gewisse Zeit aufrecht erhalten werden könnte. Nur die Nebenwirkungen sind beträchtlich: Umweltauswirkungen durch ungeklärte Abwässer in gigantischen Größenordnungen, steigender Aufwand in Form von massiver Personalbindung, vergleichsweise hohem Energie- und Materialeinsatz, steigende Risiken defekter Ölbohrlöcher. Und ständig die Gefahr vor einem plötzlichen, starken Absturz der Fördermenge, wenn aufgrund von Preisschwankungen, Streiks oder Wettereinfluss nicht ständig neue Bohrlöcher dazukommen, um den Förderabfall in den bereits bestehenden Löchern auszugleichen.
Für Europa ist Fracking in diesem Maßstab keine Option. Viel zu dicht besiedelt ist der Alte Kontinent, um ihn zum Schweizer Käse ala Dakota zu machen. Europas Ölversorgung hängt an Fäden, die außerhalb des Kontinents gezogen werden und Öl aus Dakota wird hierzulande kaum ankommen. Dennoch lohnt ein Vergleich um zu zeigen, dass die Bakken-Formation in Nord Dakota nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist und das Peak-Oil-Konzept längst nicht im Aktenschrank verstauben kann: Die europäische Ölförderung verliert seit 2002 jährlich etwa 350.000 Fass an Jahresproduktion. Die Ingenieure in Nord Dakota sollten sich also ranhalten: Sie müssen ihre Ölförderung jedes Jahr um 350.000 Fass gegenüber dem Vorjahr steigern, nur um den seit 2002 laufenden Abfall der europäischen Fördermengen auszugleichen! Wenn Nord Dakota sein Fördermaximum von 1,1 Millionen Fass Öl pro Tag erreicht, wird es also grade mal soviel produzieren, wie Europa in 3 Jahren verliert und im vierten Jahr verliert Europas Ölförderung immer noch, während Nord-Dakota sein Fördermaximum nicht mehr weiter steigern kann.
Peak Oil, so war in einem Kommentar jüngst zu lesen, sei eine "selbstzerstörende Prophezeiung". Eine Warnung also, die aufgrund ihrer selbst die Ursache entfernt, aufgrund derer sie ausgesprochen wurde. Dahinter steckt der Gedanke: Wenn wir einem Peak in der Ölproduktion näherkommen, steigen die Ölpreise, weshalb mehr gebohrt wird und neue Technologien zum Einsatz kommen, was die Ölförderung weiter steigen läßt - also den Peak verschiebt. Doch das ist dummerweise nur die halbe Wahrheit. Die andere Seite dieser Medaille ist schlicht, dass steigende Ölpreise zwar gut für die Bohrindustrie sind, aber schlecht für alle anderen Branchen - und von steigenden Preisen gehen selbst jene aus, die das Konzept eines Ölfördermaximums ablehnen. Ab 2 Euro Spritpreis, so schätzte jüngst der DIHK, bekommt die Konjunktur in Deutschland ein grundlegendes Problem. Für die Aktivitäten unter der Erde mögen steigende Ölpreise also hilfreich sein, für die Aktivitäten über der Erde sind sie problematisch - aufgrund der extremen Verwobenheit von Erdöl in alle wirtschaftlichen Prozesse. Natürlich gilt auch hier die Aussage der "selbstzerstörenden Prophezeiung": Wenn die Ölpreise hoch genug sind, werden die Leute schon weniger Öl verbrauchen. Doch eine Abkehr unter Druck, also eine Anpassung hin zu geringerem Ölverbrauch bei bereits stark steigenden Preisen ist weitaus schwieriger, als wenn sie vorbeugend bei einen noch annehmbaren Ölpreisniveau passiert. Es könnte sich als Illusion erweisen, sich auf die aufwändig zu fördernden "unkonventionellen Ölvorkommen" zu verlassen. Eine Umstellung der heutigen "konventionellen Ölförderwelt" auf die "unkonventionelle Ölförderwelt" könnte die Struktur der globalen Förderkurve verändern: Während die vor uns liegende Förderkurve bei heutiger Technik noch eine Glockenform annehmen kann, die einen vergleichsweise sanften Rückgang der Fördermengen nach dem Peak verspricht (Europa: -5,5% pro Jahr), könnte ein Wechsel zur unkonventionellen Ölversorgung die Förderkurve eher mit einem harten Kliff enden lassen. Anpassungen im Sinne eines "weichen Übergangs" zu anderen Technologien und anderen Energiequellen sind dann schlicht aus Energiemangel unmöglich.
Dieser Text resultiert aus einer eMail-Diskussion zwischen Christoph Senz, Alexandre de Robaulx de Beaurieux und mir. Vielen Dank den Mitdenkern.
PS: Die Grüne Landtagsfraktion in Sachsen hat inzwischen eine Druckfassung der Peak-Oil-Sachsen-Studie inklusive Teil 3 "Transition Towns" gefertigt. Interessierte mögen Sie über das Kontaktformular erbitten.
Der Traum von der Last-Minute-Innovation, die alles raus haut dürfte wohl ein Traum bleiben. Bevor hohe Energiepreise neue Innovationen in massenhafter Anzahl hervor bringen, haben sie die Wirtschaft zertrümmert.
Denn egal wie hoch die Preise sind und waren, sie waren immer an der Obergrenze dessen, was man bereit war zu Zahlen.
Die Fantasie von hohen Energiepreisen UND einer starken Wirtschaft ist Utopie, was niemals in einer ohnehin permanent an der Leistungsgrenze operierenden Wirtschaft funktionieren wird.
Jede zusätzliche Belastung führt unweigerlich zu wirtschaftlichen Einbruch und nicht zu himmelhoch jauchzenden Innovationen.
[…] nachzulesen unter Peak-Oil.com – Gefährliche Fracking Illusion […]