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Ändert Peak Oil die ökonomischen Mechanismen?

Ein Gastbeitrag von Martin Andresen.

Man kennt das. Irgendwo, ganz weit weg, auf dem nordamerikanischen Kontinent wird ein simples Pyramidenspiel mit Immobilien betrieben. Von Periode zu Periode drängen stetig grössere Käufermassen auf den Häusermarkt, was allein schon die Hauspreise steigen lässt, was wiederum vermehrt Interessenten anlockt. Angefeuert wird die Bewegung durch ein enthemmtes dereguliertes  Bankensystem, dass auf der Grundlage stetig steigender Immobilienbewertungen Kredite schöpft, Boni verteilt und eine Refinanzierungsmaschine in Gang setzt, die über Verbriefungen überteuerte Hypothekenkredite in den globalen Bankenmarkt verkauft. Alle wollen mitmachen, alle wollen reich werden und verschulden sich bis über beide Ohren. Dann gibt es einen Konjunktureinbruch (die Ölpreise steigen unerwartet), Arbeitslosigkeit macht sich breit, die ersten Kredite werden notleidend und plötzlich stockt der Strom neuer Käufer - das Kartenhaus bricht zusammen.

Die Ökonomen erkennen erstaunt, dass es nicht möglich ist, reich zu werden, nur indem man sich gegenseitig reihum Immobilien verkauft. Das hätt man jetzt nicht gedacht, denn liberalisierte Märkte tendieren zum Gleichgewicht - nicht zum Abgrund, so die herrschende Wahrnehmungsübereinkunft. Finanzminister Schäuble ist selbst vier Jahre nach dem Crash überzeugt, die Bankenkrise war nicht vorhersehbar. Und viele Ökonomen pflichten ihm bei. Aber ist das so?

Nun sind die Begriffe: Geld, Kredit, Hypotheken, Verbriefungen, CDOs etc. Konstrukte des menschlichen Geistes. Sie stammen aus dem mentalen Raum. Insofern sollte es vergleichsweise einfach sein, die entstandenen Probleme zu lösen. Man müsste eigentlich nur bei denen, die sich bei diesem Spiel reich gerechnet haben, die eine oder andere Null auf dem Konto streichen. Jedoch so einfach lassen sich, wie wir heute täglich sehen können, die Geldgewinner ihre angeblich gerechten Markteinkommen nicht streitig machen. Soll doch der Steuerzahler zahlen.

Was geschieht aber, wenn die Krise nicht aus dem mentalen, sondern aus dem realen Raum kommt?

Seit etwa zehn Jahren steigen die Preise für Rohöl kontinuierlich. Während sie in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts noch teilweise unter zwanzig US-Dollar lagen, sinken sie selbst in Krisen, wie der oben beschriebenen, die die gesamte Welt erfasste, nicht deutlich unter vierzig Dollar. Wurde dies von unseren Ökonomen vorhergesehen? Nein!

Ich bin in Besitz einer kleinen handschriftlichen Tabelle, welche die Ölpreisprognosen einiger wichtiger Energieinstitute und Banken zusammenfasst. Die Studien stammen aus den Jahren 2002 bis 2004. Der Prognosezeitraum beginnt 2005 und endet 2020/2025. Die höchste Zahl in der gesamten Tabelle ist achtundzwanzig. Achtundzwanzig Dollar kostet im Jahr 2025 das Fass Rohöl laut Prognose (2002) der Internationalen Energie-Agentur (EIA). Schon 2005 waren alle diese Studien Makulatur.

Offenbar war auch diese Preisentwicklung für unsere Ökonomen nicht vorhersehbar. Warum nicht?

Kaum eine Institution traut sich heute jedoch, wieder Preise bis sechzehn Dollar zu prognostizieren, wie es die CGES noch 2003 für das Jahr 2020 tat. Heute heißt es lapidar, die Zeit des billigen Öls ist vorbei. Doch wie wird der Meinungsumschwung begründet? Man kann ausführliche Kommentare zur Ölpreisentwicklung lesen ohne dass eine physische Verknappung im Sinne von Peak-Oil nur erwähnt wird. Knappheit kennen die Wissenschaftler, die im eigenen Selbstverständnis die Knappheit der Dinge untersuchen, offenbar nicht als Ressourcenknappheit. Ressourcen gibt es scheinbar stets genug.

Es lassen sich aber auch heute schon ganz einfache logische Überlegungen darüber anstellen, wie eine Verknappung des wichtigsten Energierohstoffes Erdöl die Handlungsmöglichkeiten der Marktteilnehmer unserer kapitalistischen Wirtschaft als auch die der Politik modifizieren oder aushebeln sollte.

Ist Peak-Oil ein Kipppunkt für die ökonomischen Mechanismen unserer globalisierten Gesellschaft?

Dazu einige Überlegungen:

Innovationen

Heute entsteht die gesamte Dynamik unserer Ökonomie durch den permanenten wissenschaftlichen und technischen Fortschritt. Computerindustrie,  Kommunikationssysteme, Medizin, Verkehr etc. werden ständig umgewälzt und erneuert. Geplanter Verschleiß treibt den ökonomischen Motor unserer Gesellschaften, da Produkte ihren Wert nicht aus dem Gebrauch, sondern aus ihrer Eigenschaft als Ware erlangen. Ein "must have" von heute muss darum in der nächsten Zukunft entwertet werden, um wieder neue Produkte verkaufen zu können. Ein Produktzyklus, eine Mode jagt die Nächste. Manche Häuser stehen nicht mal vierzig Jahre, bevor sie wieder abgerissen werden. Und mit den entwerteten Produkten verschwindet ein grosser Teil der Energie, die in ihrer Materie steckt oder sie landet gleich im Müll.
Vor Peak-Oil war es stets möglich diese Dynamik in Gang zu halten, nach Peak-Oil wird es entweder zu einem umfassenden Recycling von Materie kommen oder die Jagd nach dem Neuen wird zum Luxus werden. Welche Auswirkungen hat aber dies auf eine Ökonomie, die zu ihrem Funktionieren unbedingt die permanente, gesteigerte Umwälzung braucht?

Steuerung der Konjunktur durch den Zins

Vor dem Peak ist es möglich, je Zeiteinheit eine immer grössere Menge von Erdöl zu gleichen oder sinkenden Kosten zu fördern. Läuft die Konjunktur also schlecht, senkt man die Zinsen – die Kosten für Geld – dadurch steigt die wirtschaftliche Aktivität und die Arbeitslosigkeit sinkt. Zwar erhöht sich auch der Energiekonsum, was aber nur kurzfristig zu höheren Preisen führt, da die Angebotsmenge jederzeit gesteigert werden kann.
Ist der Peak überschritten, könnte dieser Steuerungsmechanismus zerbrechen, weil der Versuch, die Menge des geförderten Erdöls zu steigern, zwangsläufig dazu führt, qualitativ schlechtere und damit teurere Rohstoffquellen (Teersande, Shale) zu erschliessen. Nun sind es jedoch deren Grenzkosten, die den Preis für Energie festlegen und diese treiben ihn nach oben, was die Wirkung des billigen Geldes neutralisiert. Die Konjunktur springt doch nicht oder nur kurzfristig an.

Inflation

Vor dem Peak fliesst das Geld, das keine Anlagemöglichkeit in der Realwirtschaft findet, ins Finanzcasino. Die dort vollzogenen Geschäfte mit Vermögenswerten sind als Nullsummenspiele konzipiert und haben eine nur schwache Auswirkung auf die reale Ökonomie. Insbesondere die exponentiell steigende Geldmenge kann hier relativ schadlos geparkt werden. Viele sehen die Beträge auf ihren Konten wachsen und fühlen sich immer reicher, da die Inflation vergleichsweise gering ist.
Setzt sich nun die Erkenntnis durch, das ein Peak stattgefunden hat, wirkt dies wie eine Einladung zur Spekulation in Rohstoffe, weil knappe Rohstoffe steigende Preise erwarten lassen. Das grosse Geld kehrt zum kleinen Geld zurück mit der Folge, dass nun auch die Preise für normale Waren steigen.

Wachstum

Vor dem Peak ist es möglich, je Zeiteinheit immer mehr Produkte und Dienstleistungen zu erstellen und anzubieten, was tendenziell allen Menschen zu Gute kommen kann. Wir haben ein Plussummenspiel.
Ist der Peak überschritten, muss jeder, der mehr Produkte und Dienstleistungen für sich beansprucht, diese entweder jemand anderem wegnehmen oder sehr viel effizienter wirtschaften. Wir erhalten ein Nullsummenspiel.

Globalisierung

Vor dem Peak ist es möglich, die Produktionsketten rund um den Globus immer weiter zu verlängern, weil die Transportkosten gering sind.
Nach dem Peak steigen die Transportkosten und werden die eingeübten langen Produktionsketten unterbrechen. (Schon heute lassen die Reeder, um Treibstoff zu sparen, ihre Schiffe – auch vor dem Horn von Afrika – so langsam fahren, dass sie leicht von Piraten gekapert werden können.)

Transferleistungen

Auf unserer Welt arbeiten einige Milliarden unsichtbarer Energiesklaven für uns. Diese erhalten dafür keine Gegenleistung und also kann deren Arbeitsleistung problemlos umverteilt werden. Unserer Ökonomie erscheint dieser wachsende Verteilungsspielraum jedoch als Ergebnis der von unseren “Leistungsträgern” bewirkten Effizienz. Vor dem Peak ist es möglich diese Transferleistungen permanent zu steigern.
Nach dem Peak, wenn weniger Energiesklaven zur Verfügung stehen, sinkt die Arbeitsleitung und es muss zu verstärkten Verteilungskämpfen – einerseits zwischenstaatlich, aber auch innerstaatlich – um diese Transferleistungen kommen. Das Märchen von der wunderbaren Effizienz unserer Wirtschaft / unserer Leistungsträger, entpuppt sich als Fata Morgana.

Rohstoffförderung

Vor dem Peak ist es möglich mit billiger Energie nahezu jede Rohstoffquelle zu erschliessen. Da alle endlichen Rohstoffe den gleichen Gesetzmässigkeiten wie Peak-Oil ausgesetzt sind, wird es einerseits irgendwann zu einer Verknappung dieser Rohstoffe kommen, andererseits wird man bei der Ausbeutung auch hier immer schlechtere Rohstoffquellen ausbeuten müssen. Diese Ausbeutung ist mit einem höheren Energieverbrauch verbunden, sodass die “graue Energie”, die in diesen Rohstoffen steckt, steigen muss. Bei gleichzeitiger Energieverknappung schlagen sich diese höheren Energiekosten überproportional in den Preisen der geförderten Rohstoffe nieder. Das Problem des EROEI gibt es also allgemein bei Rohstoffen (und das geht bis zu unseren Nahrungsmitteln.)

Ressourcennutzung

Vor dem Peak ist es so, dass natürliche oder mineralische Ressourcen, die langfristig in ihrer Wertentwicklung den Zins unterschreiten, abgebaut und damit verbraucht werden. Da die Wirtschaft ohnehin aufgrund der günstigen Bedingungen seitens der Rohstoffbasis wächst und damit die Konjunktur gut läuft, ist der Zins tendenziell hoch, was die Ausbeutung natürlicher Rohstoffe übertreibt. Wir haben es also mit einem Produkt und Verbrauchermarkt zu tun.
Nach dem Peak, wenn die Konjunktur schlecht läuft und der Zins niedrig ist, liegen die erwarteten Wertsteigerungen der natürlichen und mineralischen Ressourcen tendenziell über dem Zins. Jetzt lohnt es sich für die Besitzer dieser Ressourcen (sofern sie es sich leisten können) im Boden zu lassen und nicht zu fördern, wodurch die Preise der Ressourcen und damit die Gewinne weiter steigen. Wir erhalten einen Ressourcen- und Rohstoffmarkt. Dieser schädigt die Konjunktur und besonders alle, die ihr Einkommen aus der laufenden Periode erhalten.

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