In die europäische Energiepolitik kommt Schwung. "Der Europäische Rat hat die Energieunion auf den Weg gebracht" heißt es in einer Aussendung der deutschen Bundesregierung. "Bei der Energieunion steht die Energieversorgungssicherheit in den EU-Mitgliedstaaten im Mittelpunkt" heißt es, und die Bundesregierung macht mit dieser Aussage gleich mal Ernst, indem tatsächlich die Versorgungsabhängigkeiten Europas auf den Tisch kommen:
Die EU-Energieversorgung in Zahlen:
- Sechs Mitgliedstaaten beziehen ihr Erdgas von einem einzigen Lieferanten aus einem Drittstaat,
- die EU deckt 90 Prozent ihres Rohöl- und 66 Prozent ihres Erdgasbedarfs durch Importe,
- 75 Prozent des Gebäudebestands in der EU ist nicht energieeffizient,
- der Verkehr hängt zu 94 Prozent von Erdölprodukten ab, die zu 90 Prozent eingeführt werden,
- die Großhandelspreise in der EU sind bei Strom 30 Prozent und bei Erdgas über 100 Prozent höher als in den Vereinigten Staaten.
Das war in dieser zusammenfassenden Dichte und offener Ehrlichkeit bislang nicht in Regierungsaussagen zum Energiethema zu hören. Bleibt zu hoffen, dass auch die Medien solche Zahlen aufgreifen, um die Risiken in der Energieversorgung bekannter zu machen. Die Zahlen zu Deutschland, die da noch fehlen, finden wir bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, die für Deutschland eine Mineralölimportabhängigkeit von 98%, für Gas von 88% und für Steinkohle von 87% angibt:
Dass die EU "Nummer 1 bei Erneuerbaren" in der Welt werden will, wie es EU-Präsident Junckers anstrebt, ist gut zu hören. Denn die EU ist ja bereits Nummer 1 beim Rückgang der eigenen Öl- und Gasförderung. Europa ist der Kontinent, der 1999 bereits seinen Peak Oil überschritten und seitdem 50% der Förderleistung verloren hat. Kein anderer Kontinent weltweit ist so weit in die Post-Peak-Welt fortgeschritten - oder sollte man sagen: Hineingeschlittert? Die Nutzung neuer Energiequellen ist daher nicht nur sinnvoll und "in Mode", sondern Notwendigkeit, wenn man die zunehmenden Abhängigkeiten nicht zu untragbaren Risiken aufblasen will. Natürlich ist der Umbau der fossil gewachsenen Energieversorgungsstrukturen in ein postfossiles Energieversorgungssystem kein Frühlingsspaziergang, sondern handfeste Transformation mit Risiken und unerwarteten Wendungen. Aber auf EU-Ebene kommt derzeit frischer Wind auf, der die Versorgungsfrage mehr zum Mittelpunkt zu rücken scheint.
Dazu hat zweifellos der Krieg in der Ukraine beigetragen, der im Jahr 2014 vielen Politikern und Beamten in Europa gezeigt haben dürfte, dass die Versorgungssicherheit mit Energie aus dem Osten nicht in jedem Fall gewährleistet ist. Auch der aktuelle Streit zwischen dem EU-Land Schweden und der Ölmacht Saudi Arabien erinnert daran, dass Ölquellen nie frei von politischen Interessen sind und keineswegs nur Russland unsicherer Energielieferant ist.
Konkret angegangen soll als erstes offenbar der Austausch von Informationen über abgeschlossene Öl- und Gaslieferverträge. Daraus könnte eine Art "Kundenkartell" entstehen: Europa beschafft gemeinsam Öl und Gas von außen - das wirft "Marktmacht" in die Waagschale. Bis zur Jahresmitte 2015 soll auch für die EU-Ebene ein neues Marktdesign für Energie vorgestellt werden. Eine Diskussion, die in Deutschland ja bereits läuft und Auswirkungen zeigt, während die EU-Ebene nun noch die Harmonisierung der Markt-Regeln für Europa thematisieren wird. Die Schlagworte "smart grid" und "Forschungsgelder" wirft der EU-Energie- und Klimakommissar Arias Cañete in seiner Rede zur EU-Energieunion heraus - und veranlasst Franz-Josef Fell dazu, überrascht zu sein über die "unerwartet positive Rede des neuen Energie- und Klimakommissars Arias Cañete".
Bleibt zu hoffen, dass die Initiative zur Gebäudesanierung nicht dazu führt, dass nur die Verpackungsindustrie profitiert, sondern dass cleverere architektonische Ideen zum Einsatz kommen. Bleibt auch zu hoffen, dass eine Entwicklung hin zu smart grids die Risiken der Informationstechnologien berücksichtigt: Energiesystem an Computernetzen hängend, da kriegt der Wirtschaftsinformatiker Stirnfalten. Und hoffentlich berücksichtigt die europäische Energiestrategie, die hier in Gang kommt, auch Störereignisse und Schwarze Schwäne, so dass wir nicht plötzlich im Dunkeln aufwachen, nur weil die schöne neue EE-Welt als risikolos betrachtet wird.
Weiteres:
- Schlussfolgerungen des Europäischen Rates zur Energieunion
- Telepolis: Stromversorgung: Darf es auch ein wenig kleiner sein?
- EnergyWatchGroup legt Fracking-Studie vor: Fracking - Eine Zwischenbilanz. März 2015.
- Ölspeicher in den USA so voll wie seit 80 Jahren nicht
- N-TV: Elektroautos senken Hitze in Städten (Unglaublich! :-) )
Am besten finde ich den Artikel über die Temperaturerhöhung durch fossile Verbrenner in Großstädten. Eigentlich klar, wenn hunderttausende / millionen kochendheiße Motoren und Auspuffgase im Stau stehen muss die sinnlos abgestrahle Energie ja irgendwo hin… Lustig. Vielleicht rechnet das ja mal jemand in den CO2 Abdruck des Verbrenners ein, der für zusätzliche Klimanalagen usw. sorgt. Herrlich !
Naja,
bei aller berechtigten Kritik (Selbstkritik) am fossilen Massenverkehr sollten wir vielleicht nicht völlig losgelöst von Realitäten diskutieren.
Die Hitzeabstrahlung von Verbrennungsmotoren dürfte nur einen minimalen Bruchteil zur zweifelsfrei vorhandenen Aufheizung von Großstädten beitragen.
Viel entscheidender ist die Speicherung von Sonnenenergie durch Mauern und Straßen und die nicht so hohe nächtliche Abstrahlung wie z.B. auf feuchten Wiesen am Stadtrand.
Jeder kennt den Effekt, wenn nach heißen Sommertagen die Wärmeabstrahlung von Straßen und Mauerwerken direkt spürbar ist. Städte sind per se Wärmeinseln und sehr große Städte sogar durch die mittägliche Thermik Produzenten von kleinen lokalen Tiefdruckgebieten mit verstärkten Starkniederschlägen. Das hat man am Beispiel von Tokyo nachgewiesen.
Finde das schon enorm viel, was die Chinesen da herausgefunden haben. Die Mofas wurden auch in wenigen Jahren komplett durch e-Mofas ersetzt. Denke das in 10 Jahren da maximal die hälfte der Autos noch Verbrenner sein darf. Die ziehen das im Gegensatz zu Deutschland einfach durch.
“Das Team um Li errechnete den möglichen Effekt für Peking: Würden alle Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, die 2012 in der chinesischen Hauptstadt fuhren, durch Elektrofahrzeuge ersetzt, verringere sich die Sommerhitze im Durchschnitt um 0,94 Grad. Neben den Fahrzeugen tragen in der Rechnung auch die Klimaanlagen zur Verringerung bei, da sie in geringerem Maße für Abkühlung sorgen müssen. Damit wiederum verbrauchen die Anlagen der Stadt täglich gut 14 Millionen Kilowattstunden weniger Strom. Die Wissenschaftler leiten daraus eine tägliche Einsparung von fast 10.700 Tonnen des klimaschädlichen Gases Kohlendioxid ab.”