Auf den internationalen Seiten von RIA Novosti gibt es wenige Artikel, in denen Öl keine Rolle spielt. Russland und Öl, das sind zwei sehr eng miteinander verbundene Elemente. Kein Wunder: Laut neuesten Zahlen lag der Anteil des Öls am Gesamtexport des neuen Ölweltmeisters bei 35,1%, was zeigt, wie abhängig das Land davon ist, diesen Rohstoff exportieren zu dürfen. Aufhänger für die Meldung ist jedoch, dass Russlands Ölexport im ersten Halbjahr 2012 um 2,5% gegenüber dem 1. Halbjahr 2011 zurückgegangen ist. Leider liefert der Artikel keine Informationen, warum dies so ist:
- Ist die Nachfrage nach russischem Öl gesunken?
- Hat der Eigenverbrauch zugenommen, so dass weniger Öl zum Export übrig blieb?
- Ist die Fördermenge zurückgegangen, so dass weniger Öl exportierbar war und falls ja, warum ging sie zurück?
- Aus geologischen Gründen: Weil sich die Fördermengen nicht mehr steigern lassen?
- Weil die fördernden Unternehmen die Mengen bewusst drosseln, beispielsweise um dem Preis auf die Sprünge zu helfen?
- Aus technischen Gründen?
- Mangels Investitionen?
- aus politischen Gründen?
- wurde mehr Rohöl zu anderen Produkten verarbeitet, so dass es in der Statistik nicht auftaucht?
Die EIA liefert auch zu Russland Zahlen für Förderung und Eigenverbrauch, leider erst ab 1992, der Neukonstituierung des Landes nach dem Zusammenbruch der Sowjet-Union:
Die Grafik kann täuschen, doch es ist nicht ausschließbar, dass Russland einen Gipfel in der Fördermenge erreicht hat. Wie der Abschwung der Förderkurve ab 1992 aber erahnen läßt: Russland hatte in Sowjet-Zeiten ein höherliegendes Förderniveau erreicht, welches im Rahmen des politischen Umbruchs zu einem Gipfel mit hartem Abstieg wurde. Mit dem Aufbau neuer politischer und wirtschaftlicher Strukturen stieg die Förderung ab 1998 wieder an: Von 6 Millionen Barrel täglich auf jetzt um die 10 Millionen Barrel pro Tag. Ist auszuschließen, dass Russland durch technologische Entwicklungen weiter seine Fördermengen steigert? Platts fragt, ob Russland nicht mit den neuen Fördermethoden einen ähnlichen Weg gehen könnte wie die USA? In Bazhenov, einer der Bakken-Formation offenbar recht ähnlichen Lagerstätte von Tight Oil, lagern geschätzte 180 bis 360 Milliarden Barrel. Ihre Förderung könnte bis 2020 auf eine Fördergeschwindigkeit von 800.000 bis 2 Millionen Barrel pro Tag gesteigert werden, was bis zu 20% Aufschlag auf das derzeitige Förderniveau bedeuten würde. Vorausgesetzt: Russland kann die Förderung aus allen anderen Feldern aufrecht erhalten. Wenn die Fördermengen der alten Felder sinken, könnten neue Vorkommen eine solche Förderlücke ausgleichen, aber ob sie (falls Russland tatsächlich einen geologischen Peak erreicht) die Gesamtförderung stabilisieren könnten, ist angesichts weltweit üblicher Decline-Raten von 4 bis 6% doch fraglich: Ein jährlicher Rückgang von 4% von 10 Millionen Barrel würden bedeuten, dass neue Quellen jährlich 400.000 Barrel zusätzlich auf den Markt bringen müßten - ein enormer Aufschlag.
Interessant ist der RIANovosti-Artikel vor allem auch darin, weil er die Plan-Ziele der Förderung beschreibt. So soll Russlands Förderung bis 2014 bei 510 Millionen Tonnen stabil bleiben. Trotz dieser Planung existiert offenbar ein zweites Ziel-Szenario: "Im Falle einer negativen Entwicklung wird die Ölproduktion 2012 und 2013 bei 498 Tonnen pro Jahr liegen und 2014 auf 495 Millionen Tonnen schrumpfen." Was diese "negative Entwicklung" auslösen könnte, wird leider nicht gesagt. Doch zu vermuten ist: Zumindest technisch scheint Russland zwischenzeitlich mit den herkömmlichen Fördermethoden nah an einem Höhepunkt der Erdölförderung. Steffen Bukold von EnergyComment glaubt nicht, dass ein geologischer Peak bereits erreicht ist.
RIA Novosti leistet sich eine Analyse-Agentur namens RIA Rating. Diese Agentur hat sich die Exportmöglichkeiten für russisches Gas genauer angeschaut und kommt zu dem Schluss, dass Russland den Schiefergas-Boom in den USA unterschätzt und daher seine Exportkunden nicht ausreichend diversifiziert hat. Russland ist von Europa genauso abhängig wie Europa von Russland, eine enge Gas- und Ölliefersymbiose, die beiden Akteuren Stabilität verspricht. RIA Rating meint, Russlands Energiefirmen hätten viel früher Anbindungen nach Asien aufbauen sollen, denn aufgrund des Schiefergas-Booms sowie dem Trend zur Gasverflüssigung könnte das Riesenreich auf seinen etablierten Absatzmärkten unter Druck geraten und müßte mit sinkenden Gaspreisen und daher sinkenden Exporterlösen rechnen. Für den Aufbau neuer Kapazitäten zur Gasverflüssigung und zum Transport dieses Gases sei Russland "nicht bereit", so RIA Novosti.
Die Exporterlöse sind für Russland derzeit absolut notwendig. Daher beobachtet man auch sehr, wie die wirtschaftliche Entwicklung (auch in den Absatzländern) verläuft. Das Ministerium für Wirtschaftsentwicklung hat eine Krisenprognose für 2013 bis 2015 erarbeitet, welche davon ausgeht, dass in 2013 der Ölpreis auf 80 oder sogar auf 60 US$ sinken könnte. Ähnliche Untersuchungen sollen nun auch für Kasachstan und Weißrussland erarbeitet werden, die sich mit Russland in einer Zollunion befinden. Ein Ölpreis von nur 60 US$ klingt für Abnehmerländer wie jene in Europa verlockend, denn das wäre nahezu eine Halbierung des heutigen Preises. Für Russland ist solch ein Preisniveau angesichts des hohen Exportanteils von Öl aber ein Schock. Die Alfa-Bank schätzte Anfang diesen Jahres, dass Russland einen Ölpreis von 126 US$ braucht, um seinen Staatshaushalt auszugleichen. Ein Preisniveau, das auch für Iran notwendig ist . Russland könnte daher interessiert daran sein, den Ölpreis zu steigern. Ob dies mit einer Drosselung der Förderung möglich wäre? Immerhin sind auch die meisten anderen Ölförderländer inzwischen von hohen Ölpreisen zur Stabilisierung des Staatshaushalts abhängig: die OPEC braucht laut Arab Petroleum Investments Corp einen break even oil price von 99 US$ pro Barrel.
Während der US-Präsidentschaftskandidat Romney die Zielmarke ausgibt, Nordamerika bis 2020 selbstversorgend mit (fossiler) Energie zu machen (während die US-Mittelklasse vor schrumpfenden Einkommen steht), geht Syrien zwar nicht das Öl, sehr wohl aber die raffinierten Ölprodukte aus. Ein Krieg mit schweren Waffen kann ohne Diesel nicht geführt werden, schließlich schlucken beispielsweise die deutschen Leopard-Panzer 218 Liter auf 100 Kilometer. Daher ist Syrien jetzt kurz davor, einen Liefervertrag mit Russland abzuschließen. Für Russland geht es dabei weniger um einen Absatzmarkt für russische Ölprodukte, als vielmehr für die Aufrechterhaltung russischen Einflusses im arabischen Raum. Das Lieferbeispiel ist Ausdruck dafür, dass wir es in Syrien bereits mit einem Stellvertreterkrieg zu tun haben, bei dem Russland nicht auf derselben Seite steht wie die USA oder Europa. Dafür auf Seiten Venezuelas, von wo Mineralölprodukte im Wert von 50 Millionen US$ nach Syrien flossen.
Die Abhängigkeiten von Öl und Gas sind weltweit so enorm, dass viele (vor allem aus Gründen der Anreicherung der Atmosphäre mit den Verbrennungsprodukten) befürchten, man würde sowieso rausholen an Kohlenwasserstoffen, was rauszuholen ist. Alles deutet darauf hin, dass diese Befürchtung auch auf Russland zutrifft. Die "Eroberung" der Arktis für die Öl- und Gasförderung steht ganz oben auf der Prioritätenliste und Radio "Stimme Russlands" sieht das Land daher auch in einer künftigen Spitzenposition dieses (Öl-)Feldzuges...
Nachtrag: Wie DerStandard meldet, beteiligt sich Greenpeace-Chef Kumi Naidoo seit heute morgen an einer Besetzung von Russlands erstem dauerhaften Ölbohrturm in der Arktis. Die Aktivisten wollen damit auf eine mögliche Zerstörung des Ökosystems in der Arktis hinweisen. Auf der Greenpeace-Webseite hat die Organisation 10 Tips zur Reduzierung des eigenen Ölverbrauchs veröffentlicht.