Matt Mushalik analysiert in seinem Blog, dass 75% der Ölförderländer in 2012 nicht höhere Mengen förderten als bereits 2001. Oder anders ausgedrückt: Drei Viertel der Ölfördernationen förderten im vergangenen Jahr soviel wie 11 Jahre zuvor oder sogar weniger. Europa sticht dabei heraus, denn die Fördermengen des alten Kontinents sinken jährlich ohne Aussicht auf eine Trendumkehr. Mushalik schlußfolgert, dass Steigerungspotential also nur noch bei einem Viertel der Nationen überhaupt vorhanden ist. Ohne diese Länder mit Wachstumspotential, deren Förderzuwächse die zurückgehenden Förderraten der weltweiten Mehrheit ausgleichen müssen, würde die Ölförderung also bereits sinken.
Vergleicht man das mit einem Radrennen, bei dem es darum geht, Geschwindigkeitsrekorde eines globalen Teams von Radrennern aufzustellen, so sind bereits drei Viertel des Teams am Leistungsmaximum angekommen oder schwächeln bereits. Eine weitere Steigerung der Gesamt-Geschwindigkeit liegt also in den Beinen eines Viertel der Teammitglieder. Da einzelne Rennfahrer aber ihre Rekordgeschwindigkeit bereits hinter sich haben und diese langsam sinkt, müssen - unter der Annahme dass die Räder irgendwie miteinander verbunden sind - die Radler mit Ausbaupotential einen Teil ihrer Kraft dafür aufwenden, die schwindende Kraft der schwachen Teammitglieder auszugleichen und einen Teil dafür, die Gesamtgeschwindigkeit des Teams noch zu steigern.
So muss also beispielsweise die jährlich abnehmende Fördermenge Europas durch einen anderen Teamplayer ausgeglichen werden, andere Förderregionen müssen also ihre Leistung allein schon dafür steigern, Europas Schwächeln auszugleichen. Erst wenn dieser Ausgleich geschafft ist, können weitere Förderkapazitäten zur Steigerung der Gesamtförderung (=Team-Geschwindigkeit) eingesetzt werden.
Für Matt Mushalik ist klar: Wir befinden uns seit 2005 auf dem Plateau der weltweiten Ölförderung. Sie steigert sich nicht mehr nennenswert. Schaut man sich die weltweite Förderung an (auf Datenbasis der EIA) so zeigt sich, dass sich seit 2005 das Wachstum (im Vergleich zu den davorliegenden Jahren abschwächt):
Man kann aus dieser Darstellung mit bloßem Auge bewerten: Die Wachstumsraten bis 2005 sind höher als die Wachstumsraten nach 2005, der Gesamttrend der globalen Ölförderung ist nicht völlig gebrochen, aber er hat eine andere Geschwindigkeit angenommen. Man kann argumentieren: Seit 2005 haben wir ein Plateau erreicht, auf dem die Förderung nicht oder nur noch gering gesteigert wird.
Schaut man sich die Wachstumsraten seit 1980 an, so ist erkennbar, dass auch faktisch seit 2005 niedrigere Wachstumsraten vorliegen als in den Jahren zuvor:
Einen signifikanten Durchbruch über eine Wachstumsrate von 1% hinaus brachte seit 2005 nur die Änderung von 2009 auf 2010, wobei in 2009 sogar eine Schrumpfung zum Vorjahr zu verzeichnen war. (Und von niedrigeren Niveaus aus wächst es sich leichter als von hohen.) Deutlicher wird das noch im gleitenden Durchschnitt über 3 Jahre, wo sichtbar wird, dass die Wachstumsraten der Ölförderung seit 2005/2006 signifikant unter 1% lagen, eine Situation die zuletzt Anfang der 1990er erreicht wurde (als die Sowjetunion zerfiel und der erste US-irakische Krieg passierte) - also 15 Jahre nicht vorkam. Allerdings macht der 3jährige Durchschnitt einen Sprung nach oben im Jahr 2011. Die EIA-Zahlen für das Jahr 2012 liegen noch nicht vollständig, sondern nur bis September vor. Daher habe ich den Schnitt von Januar bis September auf das ganze Jahr hochgerechnet (daher hat 2012 ein * in der Grafik). 2012 hat eine Steigerung von 2% stattgefunden, was signifikant über dem Schnitt der Jahre 2005 bis 2011 liegt. Diese Entwicklung springt auch in der Grafik zur Gesamtförderung ins Auge, was mich dazu veranlasste, die Grafik einmal im Jahr 2011 enden zu lassen (siehe oben) und im folgenden mit der 2012er Hochrechnung zu zeigen:
Mit dem (hochgerechneten) 2012er Wert ist der Plateau-Charakter längst nicht so ausgeprägt, sondern es sieht eher so aus, als würde der Trend der dauerhaften Steigerung seit Mitte der 1980er wieder aufgegriffen. Daraus entstehen zwei Gedanken:
a) Woher kommt die Steigerung? Welcher Radler hat denn Puste übrig?
b) Welchen Beitrag leistet die 2012er Entwicklung zum Hype um Fracking?
Die Zahlen zeigen: Im kontinentalen Vergleich sind es eigentlich nur Afrika und Nordamerika, wo ein Anstieg der Förderung gegenüber 2011 zu vermerken ist. In Nordamerika macht dies glatt ein ganzes Megabarrel pro Tag aus. Und natürlich: Dieses zusätzliche Megabarrel kommt aus unkonventionellen Fördermethoden: Aus kanadischen Ölsanden und us-amerikanischem Fracking.
Insider wie Leonardo Maugeri oder die EIA und die IEA sehen solche Entwicklungen früher. Wir "Laien" hinken ja schonmal bei der EIA-Datenbasis um 3 Monate hinterher. Und es ist unbestreitbar ein Trendbruch in der US-Ölförderung, die ja seit den 1970ern sank und seit 2006 mit Fracking wieder steigt. Um in der Radler-Analogie zu bleiben:
Fracking ist das EPO des Ölsports.
Der Vergleich mit einem Dopingmittel passt auch deswegen, weil Nebenwirkungen absehbar sind. Die Decline-Raten beim Fracking sind ganz anderer Natur als bei der konventionellen Förderung. Die Fördermaxima werden dort am ersten Tag erreicht und sinken dann beständig ab und zwar in rasender Geschwindigkeit auf ein Zehntel binnen 3 Jahren. Eine 5,5% Schrumpfungsrate, wie sie die europäische Ölförderung pro Jahr zeigt, ist dagegen ein gemächlicher Spaziergang. Eine mit Fracking gedopte Volkswirtschaft kann sich also über plötzliche Energieschübe freuen, sobald das Mittel aber abgesetzt wird (durch gesetzliche Regelungen, Proteste, Reputationsprobleme, Rentabilitätsprobleme, Anschläge), fällt der Energieschub regelrecht in sich zusammen. Um eine Volkswirtschaft mit Fracking langfristig mit Energie in Größenordnungen zu versorgen, müssen also hektische Bohraktivitäten über lange Zeiträume entfaltet werden, die nur zulasten plötzlicher Preisexplosionen und "Unterzucker" verlangsamt oder gestoppt werden dürfen. Das Dopingmittel Fracking erfordert also Hyperaktivität, womit der Patient sich dem Risiko einer Manie aussetzt: Zwischen Energieschub und Depression schwankend, Burn-Out vor Augen.
Dennoch ist der Trendbruch in den USA so offensichtlich, dass nachvollziehbar ist, dass Brancheninsider von einem neuen Boom träumen. Diese Aussicht ist umso verlockender, da die Stimmen eines möglichen Fördermaximums in den vergangenen Jahren immer lauter wurden und sogar Einzug in die "normale" Medienberichterstattung fanden. Wenn eine ganze Branche durch ein Phänomen wie Peak Oil sich in ihrer Existenz bedroht sieht, ist verständlich, dass sie eine Trendumkehr umso lauter feiert. Auch diese Feierlichkeiten angesichts Fracking haben ihren Weg in die Medien gefunden, die, sensibilisiert durch die Peak-Oil-Diskussion im Vorfeld, ebenso dankbar zugreifen, wie wir alle das ja gerne täten: Peak-Oil-Aussichten sind nicht unbedingt rosig und da freut man sich ja dann doch irgendwie, wenn Licht am Tunnelende sichtbar wird. Und sei es eben durch eine Ausweitung der Fördermenge.
Allerdings könnte sich das Licht dann doch als Insektenfalle entpuppen: Denn über die Dauerhaftigkeit des Fracking-Booms und seine Übertragbarkeit auf andere Weltregionen sagen die jüngsten Entwicklungen wenig. In Deutschland streitet sich die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) grade mit dem Umweltbundesamt (UBA) über Auslegungen des Phänomens, wobei die Grünen argwöhnen, Wirtschaftsminister Rösler hätte seine BGR-Behörde losgeschickt, Altmaiers UBA-Mannen eins auf den Deckel zu geben. Streit in der schwarz-gelben Koalition auf Behördenebene - das klingt nach einer Story, von der wir mehr lesen werden. Gestritten wird letztlich um die große Frage: Sollte auch in Deutschland gefrackt werden? Wenn ja, in welchem Ausmaß? Mit welchen Umwelteinwirkungen? Mit welchen Wirtschaftseffekten? Mal wieder stehen sich Wirtschafts- und Umweltfragen gegenüber, diesmal nicht mit der Atomkraft sondern mit einer anderen Technologie, aber wieder geht es: Um Energie. Die Argumentation pro Fracking könnte sich sehr gut bei Peak-Oil-Befürchtungen bedienen, denn Fracking scheint eine schnelle Pille gehen Doomer-Depressionen zu sein. Die Argumentation kontra Fracking verweist letztlich darauf, dass es mehr gibt als Ökonomie im Wachstumssinne und eine angemessene Risikobewertung notwendig ist (Stichwort: Technologiefolgeabschätzung). Langfristig wird es uns wenig helfen, das alte Wachstumsparadigma mit seinen Flughäfen und Autobahnen noch ein paar Jahre verlängert zu haben und dann vor dem Trümmern unserer Existenz zu stehen - im wahrsten Sinne, die man dieser Aussage zuweisen kann: Vor dem Risiko, dass unsere Spezies nicht überlebt. Bei peakaustria verweist Thomas Reis auf "Bekenntnisse eines Peak Oilers" von Ugo Bardi. Dieser beschreibt darin, wie er das Gefahrenpotential von Peak Oil angesichts des Gefahrenpotential des Klimawandels neu bewertet und hebt hervor, dass es Erkenntnisgewinn der Klimawissenschaft ist, die globalen Zusammenhänge zwischen der Spezies Mensch und seiner Umwelt herausgearbeitet zu haben und damit einen Paradigmenwechsel kopernikanischer Dimension darstellt. Was wir heute "fossile Rohstoffe" nennen war vor langer Zeit in der Historie lebende Biomasse und unsere heutige Nutzung dieser verwandelten Biomasse verbindet uns (quasi über äonische Zeiträume hinweg) mit einer Vergangenheit, in der es unsere Spezies gar nicht gab. Unsere Spezies hat niemals in einer Umgebung von 400 ppm CO2 gelebt. Um genau zu sein können wir nicht mit Gewissheit sagen, ob die Wechselwirkungen zwischen CO2-Konzentration der Atmosphäre mit physikalischen (Wärmeabsorbtion) und biologischen Dynamiken (Reaktion der Pflanzen- und Tierwelt) überhaupt zu einem Zustand des Planeten führt, in dem die menschliche Biologie lebensfähig ist. Die Diskussion um Fracking in Deutschland geht daher fließend in die Frage hinüber, wieviel im Erdinneren gebundene Kohlenstoffverbindungen wir in der Atmosphäre endlagern wollen und ob das Endlager aufnahmefähig genug ist. Fracking mag eine Meisterleistung ingenieurtechnischen Könnens sein, die Spitze der Innovationsfähigkeit einer ganzen Industrie. Aber sie führt letztlich dahin, aus dem Planeten rauszuholen was drin ist, bis zum letzten Tropfen. Jede Klimaschutzaktivität, die darauf hinausläuft, die CO2-Herstellung zu vermindern, ist aber sinnlos, wenn dennoch alle Kohlenstoffreservoirs bis zum letzten (technisch und wirtschaftlich förderbaren) Atom ausgebeutet werden. CO2-Emissionen zu verlangsamen führt nur zu einem Zeitgewinn, wenn letztlich doch alles verbrannt wird, was nur irgendwie gefunden werden kann. Einen Klimazustand zu bewahren, wie er bis zur vorindustriellen Zeit existierte, ist mit dem Stand der Dinge schon nicht mehr möglich. Die Trägheit des Systems Erde wird die Abgase von gestern erst im Laufe der Zeit weltweit spürbar machen (auch wenn Australien grade Klimawandel krassester Sorte verspürt). Doch um überhaupt in irgendeiner Form wirksam auf den langfristigen CO2-Gehalt der Atmosphäre Einfluss zu nehmen, muss eigentlich Öl, Gas und Kohle im Boden bleiben. Nur langsamer dennoch alles rauszuholen, was drin ist, ist nicht genug. Die Diskussion zwischen BGR und UBA, zwischen Wirtschaftsministerium und Umweltministerium sind Ausprägung genau dieses Problems, selbst wenn man sich im Detail "nur" darüber streitet, ob nun Grundwasser, was nicht als Trinkwasser benutzt wird, Trinkwasserqualität behalten soll oder nicht und ob Fracking darauf überhaupt einwirkt.
Grundsätzlich ändert sich mit Fracking am Ressourcenproblem nichts. Die Ölförderzuwächse in den USA seit 2006 werden nicht bis 2060 fortgeschrieben werden. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe mag nicht mehr zwischen konventionellen und unkonventionellen Fördermethoden unterscheiden und sagt auch, dass Fracking keinen Paradigmenwechsel darstellt (siehe: Energiestudie 2012). Dort glaubt man, dass die Ölförderung maximal noch bis 2036 steigerbar ist, wobei "maximal" eben bedeutet, sie kann auch nächstes Jahr schon sinken, weil wir uns eben seit 2005 auf dem Plateau befinden. So oder so reden wir nicht über Zeiträume, die uns beliebig Zeit lassen. Die Umgestaltung des Energiesystems - auch das schreibt die BGR! - dauert lange, daher sollte rechtzeitig damit begonnen werden. Auch der Umbau von Unternehmen, Kommunen und Lebensentwürfen benötigt Zeit und 25 Jahre sind nichts, vergleicht man sie mit den Bauzeiten von Philharmonien, Bahnhöfen oder Flughäfen. Das raue Erwachen wird durch Fracking nur noch rauer, denn der Kater nach dem Doping ist umso kratzbürstiger.
Da gebe ich mich gar keinen Illusionen hin. Wir werden fracken wie die Weltmeister. Und wenn es das Letzte ist was wir tun. Nur eine Frage der Zeit.
A glimmer of hope?
http://www.youtube.com/watch?v=1sP291B7SCw
Und wenn wir dort den Peak durch haben (evtl. 10-15 Jahre), dann werden wir wie die Wahnsinnigen mit Insituverfahren Kubikkilometerweise Kerogenhaltige FelsKuben durchkochen…
man stelle Sich vor der gleiche Aufwand würde in EE, Speicher , Stromleitungen , Wärmedämmung, Permakultur, Fahrradnetze……. Ach.. Träum…
http://www.resilience.org/stories/2012-10-25/financial-co-dependency-how-wall-street-has-kept-shale-gas-alive
http://www.nytimes.com/2012/10/21/business/energy-environment/in-a-natural-gas-glut-big-winners-and-losers.html?pagewanted=all&_r=0
Fracking ist der schiere Ausdruck für große Not.
Vielen Dank für diese Zusammenfassung! Man sollte auch nicht vergessen, dass die reinen Mengen nicht viel sagen (Stichworte: Energierendite alias EROEI, volumenbezogener Energieinhalt etc). Hier ein Beitrag, bei dem die Fördermengen bereinigt dargestellt werden:
http://www.cassandralegacy.blogspot.de/2013/01/what-future-for-petroleum.html
Wie man sieht, sieht es um die Ölzukunft sogar noch schlechter aus, als die Mengen vermuten lassen.
Hallo Markus Kracht…
Schöner Link.. gut aufs wesentliche komprimiert..
Danke!
genau das hatte ich schon lange gesucht.
[…] Technik wird eingesetzt, um alternden Ölfeldern in Sibirien auf die Sprünge zu helfen (Fracking als Viagra der Ölindustrie). Das Samotlor-Ölfeld, aus dem TNK-BP etwa ein Viertel seiner Förderung bezieht, lieferte […]