Die Wahrheit stirbt im Krieg zuerst. Daher ist die folgende Meldung mit Skepsis zu genießen.
Der Daily Telegraph berichtet von einem geheimen Angebot, welches der saudi-arabische Chef des Geheimdienstes Bandar bin Sultan dem russischen Präsidenten Putin gemacht haben soll. Die Meldung stammt von al-monitor.com, die sie wiederum von der Hisbollah-nahen As-Safir haben, die Saudi Arabien feindlich gegenübersteht. Der Ursprung der Meldung entstammt russischen Medien.
Das Angebot bezieht sich auf gemeinsame Aktivitäten Russlands und Saudi Arabiens im Bereich von Öl und Gas. Das Ziel könnte sein, so wird bin Sultan zitiert, dass man sich auf Preise und Fördermengen einigt, um den Preis in den globalen Ölmärkten "stabil" zu halten. Als Gegenleistung solle Russland Syriens Regierung um Baschar al-Assad fallen lassen.
Das Gespräch umfasste weitere Themen, konzentrierte sich aber insbesondere auf die Gestaltung des Nahen Ostens. Insbesondere aus der Zusammenarbeit mit Syrien und Iran will die saudische Regierung Russland herausbrechen, was Putin für beide Länder ablehnte.
Das Angebot ist bemerkenswert. Ein Deal zwischen Saudi Arabien und Russland wäre zugleich eine Allianz zwischen Russland und der OPEC. Dies würde die Macht des Ölkartells noch weiter steigern. Seitdem die Nicht-Opec-Länder ihr Ölfördermaximum überschritten haben, steigt der Marktanteil der OPEC weiter an und beträgt heute gemeinsam mit Russland bereits 45%. Die neue Allianz würde dann (beim Stand heute) über täglich 40 Millionen Barrel Öl verfügen - seine Macht hinsichtlich der Preisgestaltung sowie der Versorgung der Importländer wäre gigantisch.
Saudi Arabien sprach auch die russischen Gaspipelines nach Europa an und bemerkt, dass es kein Interesse hat, sich in diesem Bereich einzumischen. Diese Anmerkung ist bedeutsam angesichts des Streits, den die EU mit Gazprom hat - ein Kartellverfahren steht im Raum. Angesichts des 2004 überschrittenen Peak Gas in Europa und der seit 2002 sinkenden europäischen Ölförderungen stellt sich für Europa die Frage, woher die derzeit benötigten Energiemengen in Zukunft kommen werden und wie stark künftige Abhängigkeiten Europas aussehen. Saudi Arabien bot zudem an, tschetschenische Milizen während der Olympischen Spiele in Russland ruhig zu halten, denn diese würden von Saudi Arabien kontrolliert. Eine bemerkenswerte Ansage, führt sie doch zu der Frage, wie stark Saudi Arabiens Einfluss in unruhigen Weltregionen ist, zumal durch Tschetschenien eine islamisch-russische Grenze verläuft - man erinnere sich an die Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater 2002.
Eine Kooperation Russlands und Saudi Arabiens zum Zwecke der Ölpreis-Erhöhung macht (aus deren Sicht) Sinn. Die Staatshaushalte beider Länder benötigen zum Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben steigende Ölpreise. Der "break even oil price" (beop) Saudi Arabiens lag 2011 bei 80 US$ und soll 2016 bei 98 US$ liegen. Russlands haushaltsstabilisierender Ölpreis lag 2011 bei 108 und 2012 bei 126 US$. Russlands Wirtschaft und damit die staatlichen Strukturen sind derzeit stark abhängig von Rohstoffexporten (was dazu führt, dass derzeit neue Strategien zur Kohleförderung diskutiert werden) (siehe auch: TP: Warum der Benzinpreis nicht sinken darf). Bei einem Militärschlag auf Syrien rechnen Fachleute mit einem Ölpreisanstieg auf 125 US$, sollte der Konflikt sich auf die Nachbarstaaten ausweiten, sind 150 US$ im Rahmen des Möglichen. Derzeit liegt der Brent-Ölpreis bei 115 US$, der WTI-Ölpreis bei 110 US$.
Die Meldung über ein mögliches Kartell zwischen Russland und Saudi Arabien bekommt ihre besondere Macht auch aus der Tatsache, dass alle bis hierher genannten Länder (Russland, Saudi-Arabien, Syrien, Iran) in der sogenannten Strategischen Ellipse liegen, einer ellipsenförmigen Weltregion, in der über zwei Drittel der noch verfügbaren Öl- und Gas-Reserven lagern und die deshalb von überragender Bedeutung für die fossile Energieversorgung der Welt ist. Die Bundeswehr-Studie zu Peak Oil sagt zu dieser Weltregion unter anderem:
Im Falle einer anhaltend hohen Ölabhängigkeit von Industriestaaten wäre von einer verstärkten Einflussnahme auf die Staaten in der Strategischen Ellipse auszugehen, um die Energieversorgung aufrecht zu erhalten und ein günstiges Umfeld für eine stabile Förderung und Lieferung zu schaffen. Dies müsste nicht zwangsläufig militärisch erfolgen, würde aber generell eine weitere Erhöhung der Zahl externer Akteure bedeuten.
Und weiter: "Grundsätzlich zeichnet sich für deutsche Erdölimporte ein Bedeutungszuwachs von Staaten in der Strategischen Ellipse ab."
Der jetzt offenbar kurz bevorstehende Militäreinsatz in Syrien scheint nicht nur von den westlichen Nationen angestoßen, sondern auch von Saudi Arabien gewollt. Welche Auswirkungen dieser auf die Ölpreise und die Ölversorgung hat, ist insbesondere für Europa bedeutsam. Denn unsere Abhängigkeit von Lieferanten aus der Strategischen Ellipse ist enorm.
Weitere Meldungen:
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