Nachher ist man immer schlauer.
Seit Juni 2014 schrumpfen die Ölpreise. Während sich sowohl der nordamerikanische WTI-Preis wie auch der europäische BRENT-Preis fast 4 Jahre lang in einem Korridor zwischen 100 und 120 US$ bewegten, sind sie nun seit 4 Monaten am Abtauchen. WTI kostet 87 US$ und auch Brent strebt rasant der 90-Dollar-Grenze zu. Die Entwicklung scheint Peak Oil zu widerlegen, doch muss man klar festhalten: 4 Monate sind kein Zeitrahmen, mit dem sich ein globales Ölfördermaximum leugnen läßt.
Es ist dennoch schwierig, einen klaren Grund zu finden, warum nun ausgerechnet seit Juni das vierjährige Preisplateau verlassen wird. Man könnte auf das Überangebot durch us-amerikanisches Fracking tippen, gepaart mit einem schrumpfenden Ölbedarf der US-Wirtschaft, in der sich zunehmend spritsparende Fahrzeuge bewegen. Man könnte auch unken, dass der Ölpreis (wie auch immer) bewusst gedrosselt wird, um im geopolitischen Spiel um Einflusssphären der russischen Abwärtsspirale einen noch schnelleren Drall zu verpassen. Wie auch immer dieser drückende Einfluss auf den Ölpreis zustande kommen soll, Russland, welches einen Ölpreis von über 100 US$ braucht um seinen Staatshaushalt im Gleichgewicht zu halten, dürfte vom Preisabschwung nicht beglückt sein.
Vielleicht aber ist der Ölpreisabschwung ein Vorbote. Ein Vorbote für eine schrumpfende Ökonomie. Wie 2008, als die legendäre 147-US-Dollar-Marke gerissen wurde und der Ölpreis binnen 6 Monaten auf ein kurzzeitiges Tief von 35 US$ krachte, sind auch heute die Meldungen hörbar, die einen Abschwung der globalen Ökonomie andeuten:
Die fossile Industriekultur benötigt Öl zu ihrem Betrieb. Schrumpft die industrielle Basis, schrumpft auch der Bedarf nach Öl. Wie 2008/2009 könnte der sinkende Ölpreis ein starkes Signal dafür sein, dass "der Aufschwung" mal wieder an die Decke stößt - an die Grenzen des Wachstums.
Was den Tankstellenbesucher auf den ersten Blick freut, könnte sich zugleich als Problem für seinen Arbeitsplatz herausstellen. Noch ärger allerdings trifft es die langfristige Ölversorgung, wenn der Preis die 90-US$-Schwelle für längere Zeit unterschreiten sollte. Dann nämlich platzen bei den Ölkonzernen reihenweise die Bilanzen. Die exorbitant angestiegenen Investitionsausgaben der vergangenen Jahre wurden sicherlich nicht in Vorausschau eines Ölpreises von 35 US$ geplant. Sie rechnen sich nur, wenn hohe Fördermengen zu hohen Ölpreisen verkauft werden können. Hält die Ölpreisschwäche länger an, werden wir von Projekten lesen, die auf Eis gelegt werden. Dann allerdings steht die Ölversorgung der Zukunft infrage.
Die Wechselwirkungen zwischen Ölversorgungssystem und Weltwirtschaftssystem können sich beunruhigend aufschaukeln. Planungsunsicherheit für die Ölkonzerne wird einer künftigen Ölversorgung sicherlich nicht zuträglich sein. Zwischenzeitliche Preisrückgänge an den Tankstellen könnten dazu führen, dass Unternehmen die Ölfrage als wenig relevant einschätzen und Investitionen in eine Umstellung des Fuhrparks zurückstellen. Umso überraschter könnten sie angesichts einer künftigen Ölknappheit sein.
Die Wechselwirkungen mit dem seit 2007 sehr labilen Finanzsystem lassen sich kaum überblicken. Die EZB-Geldpolitik ist bereits ein eine "neue Phase" eingetreten, wie der EZB-Vize Vitor Constancio neulich sagte. Im Rahmen des Unter-Null-Zinsniveaus werden bereits die ersten Unternehmen mit Geldhaltegebühren auf ihre kurzfristigen Guthaben konfrontiert, nachdem seit August der Interbankenmarkt immer öfter mit negativen Zinsen operiert. Es ist schwer zu übersehen: Das Wirtschafts- und Finanz-System geht in einen neuen Zustand, ein bislang unbekanntes Fluidum über. Zweifellos sind wir auf dem Weg in eine Postwachstumsökonomie, ob allerdings bewusst und steuernd oder unbewusst und torkelnd wird sich zeigen. Das Risiko chaotischer Aufschaukelungen ist jedoch nicht nur gegeben, sondern möglicherweise demnächst auch in der Realität beobachtbar: Sollte der jetzige Ölpreissturz weitergehen und in einer Wirtschaftskrise münden, wäre dies eine Wiederholung des Musters von 2007 bis 2009.
Wie gesagt:
Nachher ist man immer schlauer.