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Leopold Kohr und die Frage nach dem menschlichen Maß

Ein Gastbeitrag von Mag. Dr. Ewald Hiebl, Leiter des Leopold-Kohr-Archivs an der Universität Salzburg. Erstmals erschienen 2004 in "Natur und Kultur".

Zurück zum menschlichen Maß

„Schneller, höher, weiter“ lautet das olympische Motto, und lange Zeit galt es in modifizierter Form auch für die Welt der Politik und der Wirtschaft. „Größer, schneller, weiter“ hieß die unhinterfragte Parole. Als Leopold Kohr schon in den 1940er und 1950er Jahren genau das Gegenteil forderte, wurde er im besten Fall belächelt und ignoriert, teilweise sogar heftig kritisiert. Mehr als 50 Jahre später sind seine Gedanken noch immer – oder vielleicht gerade wieder – hochaktuell. Die so genannte Globalisierung der Wirtschaft und die Macht großer militärischer Zusammenschlüsse werden nicht mehr kritiklos hingenommen. Deren Gegner fordern – genau im Kohr’schen Sinne – ein „Zurück zum menschlichen Maß“. Und renommierte Wissenschafter weisen immer wieder auf die Grenzen des Wachstums hin, die Anfang der 1970er Jahre der Club of Rome so eindrucksvoll abgesteckt hat (HIEBL u. WITZANY 2003, 11).

Kohrs Plädoyer für das menschliche Maß, das zu einer Zeit entstand, in der das Streben nach Wachstum und internationalen Zusammenschlüssen dominierte, wurde häufig mit dem Slogan „Small is beautiful“ zusammengefasst. Dieses ‘geflügelte Wort’ schuf Kohrs Freund und Schüler Friedrich Schumacher, der ebenso wie viele andere von Leopold Kohr und seiner zentralen Idee maßgeblich beeinflusst wurde. Sie lautet: Kleine Staaten und soziale Einheiten seien effizienter und friedlicher als große, sie bieten eine höhere Lebensqualität sowohl im sozialen als auch im ökologischen Bereich.

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Energiewende von unten

Vergangenen Mittwoch füllte Rob Hopkins den Saal der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. Zweck der Veranstaltung war die öffentliche Vorstellung der deutschsprachigen Fassung von "the power of just doing stuff": "Einfach. Jetzt. Machen!"

Postfossile Kultur

Wenn wir davon ausgehen, dass die menschliche Kultur von der Nutzung von fossilen Energiequellen mitgeprägt wurde, dann wird die Gesellschaft auch davon geprägt sein, wenn diese Energiequellen wieder versiegen. Was wir Lebenden also als "Aufstieg in die fossile Industriekultur" erlebt haben, wird irgendwann in einen "Umstieg in die postfossile Kultur" münden. Müssen.

Zukunfts-Kulturen sind schwer zu ersehen. Hin und wieder gelingt Einzelnen ein Blick in ihre Zukunft, so wie Aldous Huxley oder George Orwell oder Jule Verne. Nicht alle ihrer Visionen sind Wirklichkeit geworden. Bei manchen könnte man sagen "zum Glück", bei anderen vielleicht "schade eigentlich". Auffällig ist die Unterschiedlichkeit der Kulturen, die Huxley beispielsweise in "Schöne Neue Welt" sowie in "Eiland" beschreibt. Ein Mann, geprägt durch jene Kultur, die ihn sein Leben lang durchdrungen hat, schafft es zwei völlig voneinander verschiedene Zukunftskulturen zu denken, die bei grober Betrachung durchaus gleich wahrscheinlich sind. Erkenntnis: Zukunft ist nicht vorgegeben, die "dort" existierenden Kulturen ebensowenig.

Wenn wir davon ausgehen, dass wir am Gipfel der globalen Ölförderung angelegt sind (plusminus 10 Jahre spielen in einer seit 150 Jahren anhaltenden Phase keine so große Rolle), ist auch die Frage interessant, welche kulturellen Auswirkungen dies haben wird. Eine interessante Auswirkung ist heute bei SPIEGEL ONLINE zu beobachten:

Dies ist der Auftakt zum neuen SPIEGEL-ONLINE-Blog "Eurovisionen". Ab sofort lesen Sie hier regelmäßig darüber, wie Europäer den Weg aus der Krise suchen, was sich in EU und Euro-Zone verändert und welche Visionen für die Zukunft des Kontinents es gibt.

... steht unter einem Artikel, der mit "Wir brauchen keine fünf Fernseher mehr" betitelt ist. Der SPIEGEL macht Visionssuche!

Man kann darüber streiten, ob nun grade Visionen in der "EU und Euro-Zone" gesucht werden sollten und ob jene Krise, von der SPIEGEL-Autoren sprechen, dieselbe ist, von der auf diesem Blog die Rede ist; aber das Ansinnen als solches macht Freude. Visionen zu entwickeln von einer Gesellschaft nach "der Krise", nach dem Öl, mit funktionsfähiger Wirtschaft und möglichst unverletzlich gegen Katastrophen von planetarem Ausmaß ist einer der wichtigen Aspekte, die Rob Hopkins in seinem neuen Buch "Einfach. Jetzt. Machen!" benennt (im Original: the power of just doing stuff, übersetzt von Gerd Wessling). Die Notwendigkeit einer lebenswerten Vision zu entwickeln, ist die Anforderung, mit der Hopkins beginnt - um dann ein Buch lang zu zeigen, wie eine große Transformation bereits ihre Kultur-Meme vorausschickt. "Lokal und resilient" ist Robs Vision und schon im Transition Handbook (Energiewende - Das Handbuch) begründete er ausführlich, warum darauf seine Wahl fällt. Doch man muss seiner Vision nicht folgen, nur um zu erkennen: Damit eine Gesellschaft sich bewegt, hilft ihr ein Zukunfs-Bild, auf das sie sich zubewegen kann.

Wenn nun der SPIEGEL Visionssuche für Europa betreibt, bedeutet dies, dass die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die heutige Kultur in Bewegung gerät. Wenn erst einmal andere Bilder möglicher Gesellschaften an Kontur gewinnen, wenn deren kulturelle Eigenheiten mit der heutigen Konsumkultur in einen Wettbewerb treten, dann werden neue Kultur-Inseln entstehen. Dass diese Inseln sich zuerst auf lokaler Ebene manifestieren werden, wo eine kritische Masse und kritische Dichte sozialer Strukturen sehr viel schneller erreicht wird, als im globalen Maßstab, ist wahrscheinlich. Das Subsidiaritätsprinzip Europas sollte diese Ebene besonders befördern: Subsidiarität besagt, dass eine Aufgabe soweit wie möglich von der unteren Ebene bzw. kleineren Einheit wahrgenommen werden sollte. Es deutet viel auf eine neue Bedeutung des Lokalen hin.

Ich gestehe: ich finde die Vision "lokal und resilient" sehr verführerisch. Sie vereint Leopold Kohrs Philosophie von der Bedeutung des Kleinen/Lokalen mit Erich Fromms Humanismus. Sie befriedigt den Wunsch nach Unabhängigkeit, denn was resilient ist, was widerstandsfähig ist, muss seine Abhängigkeiten klug reduzieren. Und sie nimmt logischerweise Rücksicht auf die Tatsache, dass wir den Tagesölverbrauch auf diesem Planeten nicht mehr nennenswert steigern können: kurze Wege angesichts eines ölgetriebenen Transportsystems ist deshalb nicht die schlechteste Idee.

Fakt ist: Der Ansatz der "Transition Towns", der Städte und Dörfer im Wandel, ist einer der wenigen Ansätze, der Menschen angesichts der G L O B A L E N Krisen handlungsfähig macht und hält. Und viele der Aspekte, die mit Transition in Verbindung gebracht werden, tauchen in den Krisenregionen offenbar als tauglicher Handlungsansatz von allein auf. Insofern scheint diese Transition-Kultur etwas hilfreiches zu beinhalten. Da es Teil dieser Kultur ist, Visionen zu formulieren um sich an ihnen zu orientieren, passiert Visionssuche bereits in vielen Orten der Welt - nämlich dort, wo Transition als "soziales Experiment" bereits angekommen ist. Wenn diese vielen lokalen Suchen nach neuen Bildern, neuen Wegen und neuen Formen des Daseins nun im SPIEGEL reflektiert werden, dürfen wir annehmen: postfossile Kultur voraus.

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Das Peak-Oil-Problem lösen

Ich habe sehr viel Spaß, bei Vorträgen über Ölförderraten und Förderkurven, über Förderrückgänge in ausgewählten Ländern und geopolitische Risiken die anschließende Frage in den Raum zu stellen:

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Video: Dresden im Wandel

Im Jahr 2012 trafen Friedrich-Ebert-Stiftung und Deutsches Hygiene-Museum Dresden mit einer kleinen Gruppe Peak-Oil-Interessierter zusammen und organisierten zwei Abende unter dem Titel "Dresden auf Entzug - Wie funktioniert die Stadt ohne Öl?". Das Veranstaltungsformat fand später Anwendung in Chemnitz und Weimar. (Und will in weiteren Städten angewendet werden!)

Jeder der Abende war für die durchaus zahlreichen Anwesenden eine Inspiration. Doch es wurde auch klar: Einfache Antworten auf die Frage, wie eine Stadt ohne Öl funktioniert, gibt es nicht.

Vielmehr gilt: Die Energiewende muss als Kulturwende gedacht werden, als eine fundamentale Veränderung unserer Lebens- und Wirtschaftsweise. Dummerweise ist es unerheblich, ob wir diese Kulturwende wollen oder nicht: Unser kuschelig fossiles Nest ist in Auflösung begriffen, sobald die Zuflüsse aus fossilen Energieträgern nicht mehr wachsen, sondern schrumpfen. Wie aber geht es dann weiter?

Einfache Antworten sind nicht zu erwarten. Vielmehr ist ein Transformationsprozess notwendig, der vieles verändern wird. Ein hoffnungsvoller Ansatz, wie dieser Transformationsprozess aktiv gestaltet, statt passiv erduldet werden kann, ist der Transition-Town-Ansatz. Er zielt nicht darauf ab, die Ölfördermengen zu erhöhen oder der ganzen Welt ein "neues System" überzustülpen, er zielt darauf ab, die Nester in denen wir leben, krisenfest zu machen: Unsere Städte und Dörfer.

In Dresden wurde die durch "Transition" formulierte Haltung erstmals 2010 sichtbar, als sich zuvor unbekannte Akteure auf der Transition-Konferenz in Hannover trafen und beschlossen: Transition muss nach Dresden kommen. Die Aktivitäten rund um diese lokale Handlungsmethode sind mit dem Titel "Dresden im Wandel" überschrieben. Anknüpfend an die zwei Entzugs-Veranstaltungen von 2012 ging es im Oktober 2013 darum, zu zeigen, was in Dresden schon alles passiert. Daher luden wir ein Dutzend Initiativen ins Hygiene-Museum ein, um die Stimmen dieser vielfältigen Stadtwandler hörbar zu machen. Der Abend hieß "Dresden im Wandel" und die Ebert-Stiftung war wieder dabei. Und mit dabei waren außerdem:

Auch dieser Abend wurde wieder mitgeschnitten (Dank an Sebastian Veit). Auch jene die nicht da waren, dürfen nachträglich teilhaben:

Nicht-Dresdner finden auf www.transition-initiativen.de mögliche Mitmacher in ihrer eigenen Umgebung.

Dresdner (und Umgebungsbewohner) treffen sich offline zum nächsten Evoluzzer-Themenabend ("Netzwerke") und online auf Dresden-im-Wandel.de oder der zugehörigen Mailingliste.

Die nächste Gelegenheit, über Peak Oil von Angesicht zu Angesicht zu diskutieren, ist am 22. Januar 2014, 19 Uhr im Restaurant "Bacchus", Clara-Zetkin-Str. 15. Es lädt ein: Der FDP Ortsverband Dresden West. Titel:

"Peak Oil" oder: "Warum Dresden einen Ölkrisen-Vorsorgeplan braucht."

Wegweiser Bürgergesellschaft und Transition-Towns

Ich wurde eingeladen, den Ansatz der Transition Towns von meinem Arbeitsbereich der Regionalentwicklung her zu umreißen. Erschienen ist der Artikel nun im eNewsletter 2/2013 des "Wegweiser Bürgergesellschaft". Dort sind auch Beiträge von Thomas Köhler/Hannover und Kriemhild Büchel-Kapeller/Vorarlberg zu finden.

Video: Dresden auf Entzug 2

Für den 8. November luden wir zum zweiten Mal ins Deutsche Hygiene-Museum Dresden ein, um die Frage zu diskutieren: "Wie funktioniert die Stadt ohne Öl?" Während wir zur April-Veranstaltung 180 Voranmeldungen hatten, von denen wir 40 mangels Platz vertrösten mussten, kamen zur zweiten Veranstaltung trotz größerem Saal "nur" 100 117 Besucher. Lag es möglicherweise am veränderten Spritpreis seit April? Dennoch dürfen wir zufrieden sein, erneut dieses Thema in der Stadt zu diskutieren und gelohnt hat sich der Abend:

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Transition Town Leipzig bekommt Bundesförderung

Ausgehend von der Zukunftsakademie Leipzig, dem Netzwerk Energie und Umwelt sowie der Initiative Transition Town Leipzig - und unterstützt von der Stadt - hat ein Antrag auf Förderung beim Bundesministerium für Bildung und Forschung gefruchtet: 35.000 Euro wurden bewilligt, das Projekt beginnt bereits heute und läuft ein Jahr. Thema: Peak Oil – den Ausstieg aus dem Ölzeitalter lernen. Geplant ist die Erstellung von Bildungsmodulen zu den Themenfeldern Ernährung, Konsum, Wohnen, Mobilität und eventuell Arbeit/Bildung.

Glückwunsch nach Leipzig!