Am 31. Januar stellten die Professoren Leiter, Schüth und Wagemann ein Diskussionspapier auf der Webseite der Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie e.V. (DECHEMA) online, zu dessen Diskussion ich hiermit beitragen und auffordern will. Es heißt:
Diskussionspapier - Überschussstrom nutzbar machen: Optionen
Darin verweisen die Autoren darauf, dass der Ausbau für die Erzeugungssysteme von Strom aus erneuerbaren Energiequellen bis 2020 beim Doppelten des Bedarfs liegen dürfte. Sie schlagen daher vor, die Verbindung zwischen dem Strom-System und der Chemie intensiver ins Auge zu fassen und benennen 4, nach Exergie-Gesichtspunkten geordnete, Nutzungsstufen:
- Strom direkt als Strom nutzen
- Strom zu Wasserstoff und dessen direkte Nutzung
- Chemische Speicherung von Wasserstoff
- Rückverstromung
Da elektrischer Strom ein sehr "flüchtiges Element" ist, was im selben Moment genutzt werden muss in dem es verfügbar gemacht wird (Strom hat keine "Eigenspeicherfähigkeit"), stellt sich für ein auf erneubaren Energiequellen basierendes Energieversorgungssystem die Frage, wie mit Überschussstrom umgegangen wird (wenn also mehr Strom verfügbar ist als in dem Moment von sämtlichen Energieverbrauchern abgenommen wird) und wie sich die Energie vom Sommer in den Winter transferieren läßt. Abgesehen von allen (kurzsichtigen) Kosten-Diskussionen um die Energiewende liegt hier die zentrale Frage: Wie bekommen wir Energie aus energiereichen Zeiten in energiearme Zeiten transferiert? Die Autoren schlagen vor, den Strom zur Bereitstellung chemischer Substanzen einzusetzen und die Energie sozusagen in besonderen chemischen Verbindungen zu speichern.
Sie leiten daraus eine engere Verbindung zwischen chemieverabreitendem System und Energieversorgungssystem ab, fordern verstärkte Forschung in diesem Bereich und appellieren an die Politik, verläßliche Rahmenbedingungen zu schaffen. All diesen Forderungen schließe ich mich hiermit (als Nicht-Chemiker) ausdrücklich an.
Ich möchte die Diskussion um einen weiteren Aspekt anreichern. Im Herbst schrieb ich für die ENFO AG ein Papier zum Thema Methanisierung auf lokaler Ebene. Das Konzept der "Chemisierung" von Überschussstrom ließe sich prinzipiell in jeder Kommune anwenden, um eine lokale Struktur aufzubauen, die Sommerenergie in den Winter transferiert und Strom zur Anwendung im Wärme- und Transportbereich umzuwandeln. Dabei habe ich mich in folgendem Dokument von der Frage leiten lassen, wie ein lokales Energieversorgungs(sub)system gebaut sein sollte, wenn man "die Energiewende vom Ende her denkt". Das "Ende der Energiewende" wäre demnach jener Zeitpunkt, bei dem keinerlei (nuklear-)fossile Energieträger mehr genutzt werden. Die Methanisierung, die die o.g. Autoren ebenfalls vorschlagen und zu deren Umsetzung Kohlenstoff notwendig ist, müßte sich demnach mit lokal verfügbaren Kohlenstoffquellen zufrieden geben, um das natürliche System nicht zu übernutzen. Dazu bedarf es aus meiner Sicht eine Zwischenspeicherung von Kohlenstoff sowie eine auf Nachhaltigkeit ausgelegte Nutzung der lokalen nachwachsenden Biomasseerträge. Ich habe diesen Ansatz um ökonomische Möglichkeiten zur Nutzung erweitert und das Papier daher genannt:
Als Wirtschaftler interessiert mich dabei insbesondere die Verbindung zum Transportwesen und die Option, eine lokale Chemieindustrie aufzubauen.
Prof. Bertau von der Uni Freiberg schlug kürzlich im Interview mit dem MDR Figaro in eine ähnliche Kerbe, in der er Methanol als idealen Speicher aber auch als Grundinput für die chemische Industrie ansprach - eine Substanz auf die auch die DECHEMA-Autoren eingehen. Über Methanisierung als "Perspektive für eine Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien" denken auch Beckmal et.al. (TU Dresden) nach.
Da es in der öffentlichen Debatte um die nächste Phase der Energiewende Exergiewende gehen sollte und nicht nur die Strompreise im Vordergrund stehen sollten, ist diese Diskussion dringend notwendig. Sie eröffnet hoffentlich einen "Ausgang" aus dem Im-Kreise-Drehen zwischen Politik und Vertretern der fossilen Versorgungsvorstellungen, denn sie verbindet die Nutzung von EE-Erzeugungsanlagen mit dem bestehendem, vielfach auf (Erd-)Gas beruhenden Energiesystem. Hier liegt die Chance, die Energiewende von der Konzentration auf die Erzeugungs-Anlagen hin zu einer Aufwertung der Speicher- und Umwandlungsanlagen weiterzuentwickeln.