Noch bis Mitte 2004 lag der Ölpreis unter 40 US-Dollar. Nur einmal hat der Preis in den vergangenen 7 Jahren diese Preismarke für wenige Tage wieder unterschritten: Nach seinen absoluten Hoch von 147 US$ im Sommer 2007, als die Wirtschaft weltweit schrumpfte. Immer öfter wird auf den Zusammenhang hingewiesen, dass die Wirtschaftskrise, die uns seit einigen Jahren quält, nicht nur mit den Subprime-Krediten in den USA zusammenhängt, sondern auch mit den historisch höchsten Ölpreisen, die jemals gezahlt werden mussten. Zunehmend findet auch die Erkenntnis Verbreitung, dass die Ölpreise nicht nur deshalb hoch sind, weil die Ölproduzenten hohe Preise verlangen, sondern auch, weil ihre Kosten immer stärker steigen. Die Zeit des billigen Öls ist vorbei, seitdem die leicht erreichbaren Reservoirs ausgebeutet wurden und die jetzt zu erschließenden Felder mehrere Kilometer unter der Erdoberfläche oder sogar im Meer liegen. Material- und Zeitaufwand aber auch das Risiko sind gestiegen und so manches Vorkommen auszubeuten lohnt sich erst, wenn der Preis es hergibt.
Gemäß der Investment-Abteilung von Barclays Capital lohnt sich die energieaufwändige Verflüssigung der kanadischen Ölsande erst ab einem Preis von 90 US$, was zu einem interessanten Phänomen führt:
- sinkt der Preis an diese Grenze, so werden die Arbeiten an solchen Projekten eingestellt, da ihre Betreiber sonst Verluste befürchten müssen
- werden die Arbeiten eingestellt, sinkt das Angebot an Öl auf den Märkten
- sinkt das Angebot an Öl, steigt der Öl-Preis
- steigt der Ölpreis, lohnt sich der Betrieb der teureren Lagerstätten wieder
Aus diesem Blickwinkel argumentieren viele Peak-Oil-Optimisten mit ökonomischem Fachwissen: Es kann gar nicht zu einer Ölknappheit kommen, da eine solche Knappheit zu höheren Preisen führt, die ihrerseits neue Ölvorkommen ausbeutbar machen. Daher verhindert ein hoher Ölpreis eine Ölknappheit, weshalb die Befürchtungen zu Peak Oil belanglos seien.
Hier interagieren Geologie und Ökonomie miteinander, indem die Rahmenbedingungen des einen Systems (hoher Ölpreis) Einfluss auf die Situation des anderen Systems (Menge des förderbaren Öls) haben. Beide Systeme wirken aufeinander ein, so dass man argumentieren könnte, es komme zu einem nie versiegbaren Fluss aus Öl, da die ökonomischen Rahmenbedingungen ständig neue Ölquellen förderbar machen. Ist demnach nicht ein ewiges Weiterlaufen dieser Wechselwirkung und damit des Ölflusses denkbar?
Unter der in den Wirtschaftswissenschaften beliebten Formulierung "ceteris paribus" trifft dies zu: "ceteris paribus" bedeutet "unter der Annahme, dass alle weiteren Rahmenbedingungen gleich bleiben". Sie ist die beliebte wirtschaftswissenschaftliche Zauberformel, mit der die Realität außen vor gelassen wird. Der Ölpreis ist ein Parameter, der ja nicht nur innerhalb der Ölförderwirtschaft exististiert, er wird ja überall in der Wirtschaft gezahlt und ist damit eine Stellschraube, die auch andere Bereiche der Wirtschaft beeinflusst - beispielsweise die Kosten von Unternehmen und Haushalten. Die Vernetzung der einzelnen ökonomischen Elemente miteinander sorgt dann beispielsweise für folgendes Phänomen:
- weil ein Haushalt mehr Geld für Mineralöl ausgeben muss, kann er nicht mehr soviel Geld für andere Konsumgüter ausgeben
- weil weniger Geld für Konsumgüter ausgegeben wird, erleidet der Einzelhandel Umsatzeinbruch
- macht der Einzelhandel weniger Umsatz, kauft er beim produzierenden Gewerbe weniger Güter ein
- dieser Absatzeinbruch setzt sich über die Wertschöpfungsketten von Wertschöpfungsstufe zu Wertschöpfungsstufe fort und sorgt für eine Schrumpfung der Gesamtwirtschaft
Hat der Ölpreis diese Macht? Im bereits verlinkten Artikel von David Strahan wird Steven Kopits, Direktor des US-Energie-Beratungsunternehmens Douglas Westwood, zitiert mit der Aussage: Sobald die USA mehr als 4,5 % ihres Bruttoinlandsprodukts für Erdöl ausgaben, verfiel die Wirtschaft in eine Rezession. (Zum Vergleich: Das Bundesland Sachsen gab 2008 4,35% seines Bruttoinlandsprodukts allein für Diesel, Benzin und Heizöl aus, gegenüber 2007 war das ein Sprung um 16%.) Auch wenn Europa und die USA nicht zwingend direkt vergleichbar sind, zeigt die Zahl doch die Macht des Ölpreises und wie stark wirtschaftliches Wachstum vom Preis dieses einen Rohstoffs abhängt.
Daraus folgt die Frage: Wie hoch kann der Ölpreis überhaupt steigen? Losgelöst von allen anderen wirtschaftlichen Zusammenhängen erlaubt ein hoher Ölpreis der ölfördernden Industrie natürlich, neue Reserven zu erschließen, doch im Zusammenhang betrachtet verändert ein hoher Ölpreis das wirtschaftliche Umfeld, in dem sich auch die Ölförderer befinden. Denn je höher der Preis steigt, umso stärker verändert sich das Verhalten der Unternehmen und der Verbraucher - bis hin zur Wirtschaftskrise. Werden aufgrund hoher Transportkosten weniger Produkte transportiert, so sinkt der Preis für Öl. Wird aufgrund wirtschaftlicher Stagnation weniger Öl für die Kunststoffherstellung gebraucht, sinkt der Preis. Eine Wirtschaftskrise senkt den Bedarf nach Öl und ein geringerer Bedarf schafft Spielraum für Preissenkungen. Doch ein zu hoher Ölpreis ruft eben genau diese Wirtschaftskrise hervor, die dann den Preis wieder drückt. Preisprognosen von 200 US$ sind in Peak-Oil-interessierten Kreisen keine Seltenheit, der ehemalige Bear-Stearns-Händler Luca Baccarini hat jetzt mit dem ehemaligen IEA-Analysten Olivier Rech einen Fonds eröffnet, dessen Investment-Strategie auf einen Ölpreis von 300 US$ in 2025 abzielt (Einlagen sind ab 150.000 US$ möglich). Doch auch noch höhere Ölpreisprognosen waren schon zu hören. Wir wissen nicht wo, aber irgendwo dürfte es eine Preisschwelle geben, die kaum überschritten wird, weil dann der Preis zu hoch ist, um mit Öl überhaupt noch ökonomisch sinnvoll zu wirtschaften. Zweifellos steht dieser Preis in Verbindung zum ERoEI (energy return on energy invested), dem Verhältnis zwischen benötigter Energie und resultierender Energieausbeute, der modernen Maßzahl ökonomischen Handelns.
Dies führt zu der Vermutung, dass die Grenzen des Wachstums der fossilen Wirtschaft erreicht sein könnten. Öl ist Energieträger Nummer 1. Öl limitiert die frei nutzbare Energiemenge. Sein Preis ist so bedeutsam für die Wirtschaft, dass mit steigenden Preisen die Wirtschaftskraft erlahmt:
Ein Rückgang der Wirtschaftsleistung aufgrund hoher Ölpreise läßt auch den Ölbedarf zurückgehen, in dessen Folge der Ölpreis sinkt. Dieses Phänomen ist auch als "demand destruction" ("Nachfragezerstörung") bekannt. Hat der Ölpreis ein akzeptables Niveau erreicht, entsteht wieder Spielraum für einen neuen wirtschaftlichen Aufschwung, in dessen Folge jedoch der Ölpreis wieder anzieht und der bei einem entsprechenden Niveau wieder zur Zerstörung der Aufschwungdynamik und der Ölnachfrage führt. Bei anhaltender Ölabhängigkeit und einem engen Ölmarkt, wie ihn ein Peak-Oil-Umfeld mit sich bringt, befindet sich die Wirtschaft also in einer andauernden Krisezone bestehend aus Auf- und Abschwüngen. Aus etwas langfristigerer Betrachtung stellt diese Krisenzone den Höhepunkt der Wirtschaftsleistung dar, also den "Peak Growth", der parallel zum Energie-Peak stattfindet. Ein Ausbruch aus dieser Krisenzone wird nur möglich, wenn die Wirtschaftsleistung von der Energieverfügbarkeit abgekoppelt wird (was in der Geschichte vermutlich einmalig wäre) oder wenn neue Energiequellen erschlossen werden. Passiert weder eine Abkopplung noch eine neue Energiezufuhr zum ökonomischen System, ist mit dem Rückgang der Ölmengen auch ein Rückgang der Wirtschaftsleistung zu erwarten.
Welche Höhen der Ölpreis in diesem Szenario erreichen kann, ist schwer vorhersagbar. Denkbar ist, dass er 300 Dollar nie dauerhaft überschreiten wird, weil dieser Preis die meisten wirtschaftlichen Aktivitäten beeinträchtigt. Langfristig ist es möglich, dass der Ölmarkt, an dem sich ein Preis bildet, verschwindet und durch Rationierungen ersetzt wird.
Das Ende der Welt, so wie wir sie kennen ist nah !