Das fossile Zeitalter hat möglicherweise einen neuen Höhe- oder besser Tiefpunkt erreicht: Die Bohrinsel Elgin in der schottischen Nordsee wurde evakuiert, weil große Mengen Erdgas ausgetreten sind. Die entstehende Wolke ist explosiv und enthält hochgiftiges Schwefelwasserstoff - das Gas, nach dem auch faule Eier riechen. Neben Elgin wurden auch zwei benachbarte Plattformen evakuiert, eine Zwei-Meilen-Sperrzone für Schiffe und eine Drei-Meilen-Sperrzone für Flugzeuge eingerichtet. Es ist schwer vorstellbar, dass Probleme auf der Plattform direkt dort behoben werden können. Deshalb denkt man nun offenbar über eine Entlastungsbohrung nach, deren Installation offenbar mehrere Monate dauern kann.
Mangels Strom liefert die Plattform keine aktuellen Daten. Ferndiagnose ist demnach schwierig. Die Fördermengen der Plattform entsprechen 3% der britischen Gas- und 5,5% der britischen Ölfördermengen. Die sowieso seit der Jahrtausendwende sinkende Öl- und Gasförderung Großbritanniens wird der Unfall nicht verbessern:
Was an Umweltschäden dazukommt dürfte die Kernfrage in den kommenden Wochen sein. Das Ereignis erinnert nicht nur fatal an die Katastrophe im Golf von Mexiko, es erinnert auch an Szenen aus dem Thriller "Der Schwarm" von Frank Schätzing. Dort spielt Methanhydrat eine große Rolle und auf dem Meer aufsteigende Gasblasen versenken so manches Schiff.
Die neuerliche Katastrophe läßt erahnen, was im Peak-Oil-Umfeld für großes Stirnrunzeln sorgt: Die Risiken der Förderung nehmen immer weiter zu. Nachdem die einfach zu erreichenden Lagerstätten längst erschlossen und in vielen Fällen ihre lokalen Peaks längst hinter sich gebracht haben, werden immer häufiger Lagerstätten erschlossen, deren Ausbeutung risikoreich und teuer sind - mit erhöhten Wahrscheinlichkeiten, auch Umweltkatastrophen mit sich zu bringen. Insbesondere die Tiefseeförderung ist schwierig. Von schwimmenden Plattformen werden mehrere hundert Meter durch Meerwasser und dann mehrere hundert Meter durch den Meeresboden gebohrt, um das dann geförderte Öl oder Gas in hunderte Kilometer langen, auf dem Meeresboden liegenden Pipelines an Land zu transportieren. Unwettern und Erosion sind die Teile dieser komplexen Struktur ausgesetzt und ihr Aufbau ist kosten- und energieintensiv. Es ist nur mit massiver maschineller Unterstützung möglich, überhaupt "Hand" an die Bauteile dieser Förderstrukturen zu legen. Ohne Maschinen wird nie ein Mensch jenen Punkt anfassen, an dem die Bohrung in den Meeresboden geht - ein direkter menschlicher Eingriff ist also, im Gegensatz zu Bohrungen an Land, unmöglich. Die Hoffnungen, weitere Ölvorräte in den Ozeanen zu finden, muss mit dem Bewusstsein einhergehen, dass die Aufrechterhaltung unseres heutigen Verbrauchs durch zusätzliche Risiken für jene Umwelt erkauft wird, die unsere Lebensgrundlage darstellt. Gerade heute wurde auch über Schäden berichtet, die die Deepwater Horizon-Katastrophe an Korallen im Golf von Mexiko hinterließ.
Zwar sind noch sehr große Mengen Öl und Gas unterirdisch verfügbar, aber Kosten und Risiken steigen. "Peak Oil" wird deshalb immer wieder auch übersetzt mit der Ansage: "Das Ende des billigen Öls".
Weitere aktuelle Infos:
- Interview im Deutschlandfunk zur Elgin-Katastrophe
- Interview mit Steffen Bukold: Warum die Spritpreise weiter steigen werden
- Interview mit Daniele Ganser über Peak-Oil-Kriege und Erdölbeutezüge
- Interview mit Michael Cerveny: Feind des hohen Ölpreises ist hoher Ölpreis. Tausche Ölpreisanstieg gegen Wirtschaftskrise?
- nachrichten.at: Hohe Benzinpreise - Italiener verschieben Konsum vom Auto (Neuzulassungen -19%) zum ÖPNV (Monatskarten in Mailand +33%)
- Auch die Westdeutsche Zeitung diskutiert Ressourcenknappheit am Beispiel von Wasser und Peak Oil
- Die FAZ hat eine Debatte zum Thema Nachhaltigkeit, bei der sich u.a. Piraten und Grüne einen Schlagabtausch liefern, der auch den Ölgipfel beinhaltet
- Nouriel Roubini rechnet in Foreign Policy mit einem Ölpreis von 200 US$; er war kürzlich auch in der FTD mit einem Ölpreis-Kommentar zu lesen
- NDR: Iran-Krieg auf 2013 vertagt? Streitkräfte und Strategien vom 24.03.2012: Sendemanuskript und Audio
- Manager-Magazin über neues Öl-Dorado dank Fracking: "Neuer Wilder Westen: US-Ölrausch setzt Zehntausende in Marsch"
- TOD: Global Oil Risks in the Early 21st Century
Man darf gespannt sein, was aus der Debatte zwischen Piraten und Grünen wird. Unwillkürlich habe ich den Eindruck, es wird vor allem über Deutung gesprochen, wobei die Grünen meiner Einschätzung nach zu viel Weichspüler benutzen, weil sie inzwischen ja eine etablierte Partei sind. Was soll denn Peak Oil und die Ressourcenknappheit anderes bringen als Verzicht? Da kann man tausendmal damit kommen, dass unser Wohlstand gar nicht so gut für uns ist – viele Menschen sehen in den Vorschlägen auch der Grünen schlicht die Zumutung des Verzichts. Ich finde es schäbig, das umdeuten zu wollen, als ob die Leute nicht wüssten, was sie da sagen. Leider habe ich aber auch den Eindruck, dass viele bei den Grünen nicht wahrhaben wollen oder nicht sagen, dass die schönen Zukunftsmodelle stark bedroht sind. Die Argumente der Materialverknappung (Lithium für Akkus / Neodym für Windräder / Gallium für Solarzellen) sind nicht so leicht wegzuwischen: woher sollen all die alternativen Energiequellen sprudeln, von denen uns da erzählt wird? Wie sollen sie gebaut werden und wer kommt für die Kosten auf?
Fragen über Fragen. Ich darf hierbei auch noch an die große Spaltung der Grünen erinnern. Eigentlich wussten viele, dass die Fundamentalisten richtig lagen. Im Interesse der Macht hat man sich allerdings ein anderes Kleid zugelegt, das jetzt leider zu eng wird. Die Grünen täten gut daran, jetzt nicht zu meinen, die anderen aufklären zu müssen: der Schuss kann nach hinten losgehen. Ich bin sicher nicht der einzige, der auch bei den Grünen sehr viel Propaganda hört, die dann im Bedarfsfall zu nichts führt.
[…] befürchtet man eine Explosion der Bohrplattform Elgin (Focus: "Ein Funke genügt"). Und es gibt neue Katastrophenmeldungen aus Fukushima: Durch […]