Informationen aus dritter Hand sind immer mit Vorsicht zu betrachten. Mit der Süddeutschen Zeitung hat der Chef des französischen Ölkonzerns Total, Christophe de Margerie, gesprochen und Teile seiner Worte liest man nun im FOCUS oder bei der pressetext-Agentur oder im Industriemagazin. Tenor: Peak Oil ist out, Öl reicht noch 100 Jahre, bitte weiterfeiern.
Was Margerie offensichtlich tut ist, sich vom Begriff "Peak Oil" zu distanzieren, den er Anfang 2011 noch als Bedrohung empfand. Statt "Peak Oil" solle man nun vom "Kapazitätsmaximum" sprechen. "Die Produktion sei nur wegen der Kosten, der Zeit, der Geopolitik und des Risikos limitiert" heißt es im Focus. "Nur"?
Genau diese Punkte sind es, die in der Peak-Oil-Diskussion seit Jahren angesprochen werden: Die Zeit des einfach zu fördernden, billigen Erdöls ist vorbei. Die Kosten würden steigen, der Aufwand für den großflächigen Einsatz von neuen Fördertechnologien wie Fracking steigt. Überall, wo der Aufwand steigt, benötigt man mehr Zeit, um Kapazitäten verfügbar zu machen. Ob die benötigten Ölmengen "bedarfsgerecht" verfügbar gemacht werden, wie es in der Energiestudie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe heißt, hängt aber eben genau am Zeit-Aspekt: Kommen Ölförderanlagen zu spät "ans Netz" kann genau die Situation entstehen, die allgemein mit "Peak Oil" umschrieben wird: Öl wird benötigt, aber es kann nicht geliefert werden. Beispiel: Am Ölgigant Kashagan versuchen sich die Konzerne seit Jahren mit immer größeren Verzögerungen und explodierenden Kosten. Auch Geopolitik und Risiken der Ölförderung werden in der Peak-Oil-Diskussion regelmäßig aufgebracht. Wie realistisch Risiken sind zeigt die Absicht von Terroristen in Algerien, eine ganze Förderplattform zu sprengen sowie der Cyber-Angriff, dem der saudische Ölkonzern im August 2012 ausgesetzt war: 30.000 Computer wurden lahmgelegt und die Absicht dahinter war, die Ölförderung zu torpedieren. Und damit sind wir mittendrin in der Geopolitik, denn der Angriff wurde offenbar von mehreren Kontinenten aus gesteuert und wird mit den Konflikten im ganzen arabischen Raum in Zusammenhang gebracht.
Peak Oil abgesagt? Das kann wohl nur eine Schar von Journalisten behaupten, die voneinander abschreibend oder Pressemeldungen kopierend den Begriff mit dem sofortigen Wegfall der Ölförderung gleichsetzt. Wenn de Margerie von "Kapazitätsmaximum" spricht meint er letztendlich aber dasselbe, wie auch bislang mit dem Begriff "Peak Oil" verbunden war: Wir nähern uns einem Maximum in der Förderung und einem Maximum der freien Förderkapazitäten ("oil capacity maximum"). Der Verweis auf die noch 100 Jahre haltenden Ölreserven ist irreführend, auch dazu sei es jedem Journalisten empfohlen, mal die BGR-Energiestudie zu lesen, die sich kritisch mit der "statischen Reichweite" auseinandersetzt. Einfach die bekannten oder geschätzten Ressourcen durch den Jahresverbrauch zu teilen greift ungefähr genauso kurz, wie sich ein Ölfeld als "Öl im Loch im Boden" vorzustellen. Auf Anfrage sagt die BGR dazu:
Eine unkritische bzw. undifferenzierte Darstellung und Nutzung der Statischen Reichweite führt zwangsläufig zu Missverständnissen. Die Statische Reichweite ist nur bedingt dazu geeignet, belastbare Aussagen über die künftige weltweite Versorgung mit Energierohstoffen zu treffen. Sie ist kein Prognose-Instrument, sondern stellt eine Momentaufnahme in einem sich dynamisch entwickelnden System dar.
Denn das Problem bei der Ölförderung ist eben die Geschwindigkeit, mit der wir den Rohstoff aus dem Boden holen können (und der dafür notwendige Aufwand) und diese Geschwindigkeit hält sich leider nicht an die überschaubaren Divisions-Kenntnisse schlechter Journalisten. Vielmehr verlaufen die Förderkurven nicht linear, aber Förderkurven werden leider in den Presseverlautbarungen nicht gezeigt. (Beispielsweise die seit 2002 im Sinkflug befindliche Ölförderung Europas...)
Was de Margerie eben auch sagt ist: Öl wird teurer. Und worum ein guter Medienartikel sich kümmern sollte ist zu reflektieren: Kann unsere Wirtschaft denn mit den Ölpreissteigerungen umgehen? Der Rohstoff mag dahergerechnete 100 Jahre halten, aber 100 Jahre Preissteigerungen dürften selbst den kurzsichtigsten Journalisten zur Erkenntnis führen, dass der Stoff irgendwann zu teuer wird. Dass dies nicht erst im Jahr 99 passiert, gebietet die Logik. Es sei denn, es handelt sich um Wunschlogik...
Erstaunlich ist, dass es der Begriff "Peak Oil" auf diesem Wege dann eben doch in die Massenmedien schafft. Nicht, um kritisch über das dahinterstehende Konzept und seine Auswirkungen zu diskutieren, sondern um Industrieverlautbarungen nachzuplappern. Verlautbarungen, die so erstaunlich synchron kommen, dass der Kampagnen-Verdacht sich erhärtet: Grade noch hat BP seinen World Energy Outlook dermaßen intensiv mit Fracking-Werbung angereichert, dass der Begriff Fracking bei Google Trends sogar das Interesse an "Erneuerbaren Energien" übertrifft, nun schlägt mit Total der nächste Ölkonzern in die Kerbe und bittet um einen Freibrief zur Anwendung der notwendigen Technologien:
Die Anwendung der "neuen Technologien", die nach Christof Rühl (BP, 9% Förderungsverlust von 2010 zu 2011) und Leonardo Maugeri (ENI) nun auch Christophe de Margerie (Total, 8,5% Förderungsverlust von 2010 zu 2011) verkauft, ist nämlich alles andere als kompatibel mit der bestehenden Gesetzgebung. In den USA mußten dafür extra Trinkwasserschutzverordnungen verändert und Maulkörbe an Gesundheitsbehörden verhängt werden, um die Technologien einsatzfähig zu machen. Die Struktur der Förderkurven der Fracking-Technologien beinhaltet zudem das Risiko, einen kaum rückgängig zu machenden Entwicklungspfad einzuschlagen. Die Risiken der Ölabhängigkeit werden dann eher größer als kleiner.
PR-Kampf der Industrie(n)
Der Film "Promised Land" von Matt Damon und Gus Van Sant gilt zwar der Gas-News-Seite von idealo.de als "gefloppt" (nur 7,5 Millionen Umsatz bei 15 Millionen Kosten in den ersten 4 Wochen nach US-Kinostart), aber die Verleih-Firma spürt auch hier eine industriegeförderte Kampagne, um den Fracking-kritischen Streifen ins "rechte Licht" zu rücken. Shell, BP, Chevron und ExxonMobil gelten als Finanziers der Webseite Energy in Depth (EID), die mit "The Real Promised Land" "echte Menschen" zu Wort kommen läßt, die Fracking in anderem Licht dastehen lassen, während Matt Damons Film vom OPEC-Mitglied Vereinigte Arabische Emirate mitfinanziert sein soll. In jedem Fall laufen Kampagnen, die in den Medien selbst bislang nicht angemessen reflektiert werden, die aber derzeit dazu führen, jegliche Sorgen zur künftigen Ölversorgung durch Versprechungen neuer technologischer Lösungsmittel aufzuhellen.
de Margeries Neusprech-Versuch fällt in dieselbe Kategorie, dabei sagt er genau das, was Peak-Oil-Warner seit Jahren von sich geben: Die Zeit des billigen Öls ist vorbei! Die freien Förderkapazitäten werden knapp. Die Antwort des Industrievertreters lautet: Mehr desselben. Mehr Technik! Doch angesichts der steigenden Risiken, die de Margerie selbst anspricht, ist eine umfassende Reflektion über die weitere Energie- und Rohstoffversorgung sehr viel nötiger als ein bewusstloses Hochschrauben der gesellschaftlichen Fallhöhe.
Nachtrag:
- Manager-Magazin: Deutsches Schiefergas: Die Fracking-Illusion
Interessant ist ja, daß ein Zusammenhang zwischen dem Ölhöchstpreis von fast 150 Dollar/Barrel und der Großen Rezession von 2008 immer noch verleugnet wird.
Aber die Rekordgewinne der letzten Jahre haben die Industrie wohl blind werden lassen.
Ich hatte gestern auch ein Gespräch – für dessen Fortführung ich noch zusätzliche Informationen bräuchte. Insb. hatte ich in diesem Rahmen das Thema Energie angesprochen, u.a. Öl, etc. EROEI, etc. und wie es auf die nächsten 10 bis 20 Jahre weiter geht.
Die Antwort war in die Richtung: Elektrische Energie ersetzt Öl, etc. Solarzellen brauchen nur Silizium und das haben wir genug um den globalen Energiemix – ohne AKW/LFTR – auf Elektro und erneuerbar umzustellen. Die nötige Akkutechnologienen werden schon kommen – hier muss man optimistisch sein.
Nach allem was ich weiss und gelesen habe ist dieses absurd. Kohle und Öl und Gas machen ca. 80% der weltweiten Energie aus – da schafft Solar gar nichts.
Und die seltenen Erden die man dafür braucht – plus ab einem bestimmten Ausstattungsgrad die Basiskapazität für den kontinuierlichen Ersatz….
Hat hier irgendwer Zugriff oder einen Link auf Artikel, die man die ganze EE/Solarthematik durchleuchten – selbst wenn angenommen jedes Jahr die Technik/Effizienz um 10% steigt? Insb. bezogen auf Flächenverbrauch, Ressourcen die nötig sind, Speicherung, etc. pp?
Ich schieb es ja aktuell auf eine Überdosis “Hopeium” – werde da aber noch genauer einsteigen.
James Howard Kunstler schreibt über Wishful Thinking in seinem neuesten Buch End of Magic, darin führt er vor allem aus, dass das Kapital ja knapp wird etc. Gutes Interview Podcast von Kunstler auf meinem Blog mit Nicole Foss von Automatic Earth.
Das Kapital wird knapp? Es ist genug da, um überall auf der Erde sinnlose Appartmentblocks und Großflughäfen zu bauen, oder irgendwelche anderen Kapitalblasen aufzupusten.
Auch mal eben 100te Milliarden in die Ölförderung zu stecken ist genug da.
Die einfachste Art, massenweise Solarenergie zu gewinnen: Irgendwo in einer Wüste wirklich ein paar 1000 Quadratkilometer zupflasetern, Wasserstoff synthetisieren und in Tankern rund um die Welt verteilen.
Mal überschlagen: Bei 30% Wirkungsgrad (http://de.wikipedia.org/wiki/Tandem-Solarzelle)
in der Sahara (2.500 Kwh/m^2/Jahr) gibt dies 92 Kg SKE (Steinkohleeinheit). Der Quadratkilometer liegt als bei ca 90.000 Tonnen SKE. Bei einem Jahresverbrauch von zur Zeit ca 18 Milliarden Tonnen SKE benötigt man zur Zeit also 200.000 Quadratkilometer Wüste – die Sahara ist ca 10 Millionen Km^2 groß, und es gibt noch andere ergiebige Flächen wie Arabien und Steppen / Wüsten in USA.
Billig ist das nicht, aber es hört sich machbar an – insbesonders wenn 20 Wüstenstaaten je 5% davon bauen, also irgendwo eine 100×100 KM-Fläche zupflastern.
Davon abgesehen: Flächen gibts auch in Deutschland noch genug, man kann erstmal jedes Industriegebiet / Supermarktparkplatz damit zupflastern ohne das es optisch irgend etwas schadet. Zwischenspeicher würde ich am billigsten auch Wasserstoff / Gasturbine sehen, als Saisonspeicher kann man alte Erdgasvorkommen verwenden, die auch für die Erdgaslieferungen aus Rußland als Speicher dienen.
Hallo Ert,
schau dir die Solar- und Windaten von 2012 in Deutschland an. Schöner aufbereitet als in folgenden Foliensatz findest du das nirgends:
http://www.ise.fraunhofer.de/de/downloads/pdf-files/aktuelles/stromproduktion-aus-solar-und-windenergie-2012.pdf
Leider wird auch das Kernproblem deutlich. So waren beipielsweise zum Zeitpunkt der konv. Jahreshöchstlast im deutschen Stromnetz am 08.02.2012 um 18 Uhr von 32 GW installierter Solarleistung 0 GW im Stromnetz! Kein Wunder, denn es war dunkel;-). Von den ebenfalls 30 GW installierter Windleistung waren 2 GW Windstrom zu diesem Zeitpunkt tatsächlich im Netz. Das heißt die gesamte konv.Kraftwerkskapazität wurde für diese Stunden benötigt. Aufgrund der kalten Witterung, den übermäßigen Stromexporten nach Frankreich und fehlendem Gas aus Russland, musste sogar die Kaltreserve angeworfen werden, um das Netz zu stabilisieren! Rat mal was das für Kraftwerke waren? Ölkraftwerke in Österreich!
http://diepresse.com/home/wirtschaft/international/731076/Energie_Oesterreich-verhindert-Blackout-in-Deutschland
Und wieviele Elektroautos wurden zu diesem Zeitpunkt geladen? Nicht ganz NULL ;-)
Ohen bezahlbare Stromspeicher wird der weitere Ausbau von Wind- und Solarstrom schon in den nächsten 2-3 Jahren an seine Grenzen kommen!
Viele Grüße
smiths74
@Energiespeicherung:
Das erinnert ich mich nur gerade an Berichte zur Automobilforschung wo das Streitthema Brennstoffzelle vs. E-Auto lautet.
Auch hier gibt es je nach Hersteller jeweils gegensätzliche Aussagen.
Z.b. meinte in einem Bericht ein E-Auto Hersteller ebenfalls, daß neue Akkutechnologien die Brennstoffzelle überflüssig machen würden.
Was allerdings die Speicherung von Strom aus Kraftwerken (ob Konventionell oder Erneuerbar) betrifft, sind derzeit SMES interessant.
http://www.heise.de/newsticker/meldung/Supraleitende-magnetische-Energiespeicher-1205834.html
Dieser Artikel über unsere Medienberichterstattung bestätigt mir meinen alten Verdacht, dass es den Medien weniger um Information als um Wahrnehmungsübereinkunft geht.
Was soll denn daran so begeisterungswürdig sein, dass wir jetzt Schieferöl und Tight Oil fördern dürfen? Hat man nicht in der Vergangenheit die Finger davon gelassen, weil es gefährlich und teuer war (und immer noch ist)? War dies nicht der eigentliche Grund, warum man die Fördertechnologie vorher nicht entwickelt hat?
Für mich fallen diese Berichte unter die Kategorie : Frontbegradigung.
Es sind Beruhigungspillen für die misstrauisch gewordene Bevölkerung. Motto: Der Krieg ist nicht verloren. Wir ziehen uns nur aus taktischen Gründen auf besser zu verteidigende Position zurück, sammeln neue Kräfte und dann dann geht es wieder vorwärts.
Unsere auf Wachstum basierende Wirtschaft braucht je Zeiteinheit einen jeweils höheren Energieinput. Da ist egal, ob in tausend Jahren noch irgendwo Öl gefördert wird. Wenn das Öl heute fehlt, geht heute die Wirtschaft zurück.
Der gesamte Vorgang ist eher ein Beweis dafür das Peak Oil funktioniert. Oder wird heute im Jahr 2013 mehr konventionelles Öl gefördert als 2008?
[…] den Anschreiben an die IHKs erhärtet sich der Verdacht einer konzertierten Kampagne der Erdöl- und Erdgasförderer, bei denen die Grundfrage nach der Versorgungssicherheit mit […]
@alle
Danke für die Infos & links.
Ich werde mich dazu noch mal später melden.
http://cassandralegacy.blogspot.co.at/2013/02/the-twilight-of-petroleum.html
Sehr lesenswert.
[…] „Eine unkritische bzw. undifferenzierte Darstellung und Nutzung der Statischen Reichweite führt zwangsläufig zu Missverständnissen. Die Statische Reichweite ist nur bedingt dazu geeignet, belastbare Aussagen über die künftige weltweite Versorgung mit Energierohstoffen zu treffen. Sie ist kein Prognose-Instrument, sondern stellt eine Momentaufnahme in einem sich dynamisch entwickelnden System dar.“ (http://www.peak-oil.com/2013/02/neusprech-kapazitaetsmaximum-christophe-de-margerie/) […]