Pressemeldungen zufolge könnte sich Großbritannien vor einer akuten Gaskrise befinden, die Rationierungen von Gas zu Heizzwecken wie auch Einschränkungen beim Stromverbrauch notwendig machen könnte. Ursachen:
- das kalte Wetter, welches nun seit Monaten auch in Großbritannien zu erhöhtem Gasverbrauch führt
- die Störung einer Gaspipeline aus Belgien
Bei besagter Pipeline ist wohl eine Pumpe ausgefallen, was am Freitag kurzfristig zu starken Preissteigerungen führte. Laut Daily Mail verfügt die Insel nur über Speicherkapazitäten für 20 Tagesverbräuche, jedoch sollen die Speicher nahezu leer sein: Auf nur noch 36 Stunden Speicherkapazität seien diese Reserven gesunken. Am Freitag kam es wohl zu kurzfristigen Preissteigerungen von über 50%. Zum Vergleich: Deutschland verfügt über Pufferspeicher für über 90 Tage, Italien für 70, Frankreich für 100, die USA für 6 Monate. Die Daily Mail führt diese Situation darauf zurück, dass historisch gesehen Großbritannien über vergleichsweise hohe Eigenversorgung verfügte und daher die natürlichen Gas-Reservoirs als "Speicher" dienten und es in den vergangenen Jahren entweder nicht gelang oder sich niemand darum kümmerte, ausreichende Investitionen für künstliche Gasspeicher zu aktivieren.
Großbritannien profitierte von den Öl- und Gasfunden der 1960er Jahre in der Nordsee. Bis 2000 steigerte das Land seine Gasförderung, erreichte dann aber den Peak in der Förderkurve bei etwa 3,8 Billionen Kubikfuss. 2011 lag die britische Gasförderung laut EIA bei nur noch 1,5 Billionen Kubikfuss, also um 60% niedriger. Heute, 13 Jahre nach Überschreiten des Gasförder-Höhepunkts, dürfte die Förderung vielleicht noch ein Viertel der damaligen Höchsmenge betragen und damit noch etwa die Hälfte des Gas-Bedarfs Großbritanniens bedienen. Der Rest muss aus Importen kommen. Offenbar wurden die vergangenen 13 Jahre aber nicht genutzt, um puffernde Elemente in angemessener Größenordnung ins Energieversorgungssystem einzubauen, so dass der Ausfall einer einzelnen Gas-Pipeline im Zusammenspiel mit dem langen Winter nun zu akuten Engpässen führen könnte. Dabei spielt das belgische Gas gar keine so große Rolle, der Pipeline-Ausfall wäre demnach nur ein besonderer Vorfall, der die Verletzlichkeit sicht- und spürbar macht. Die britische Regierung findet beruhigende Worte, Kritiker werfen ihr vor, die Situation zu unterschätzen.
Letztlich sind Gas-Puffer aber ein vergleichsweise kurzfristig wirksamer Baustein. Mittelfristig wird auch Großbritannien vom Rückgang der gesamten europäischen Gasförderung betroffen sein: Europa hat seinen Peak Gas 2004 überschritten. Weltweit gilt Gas zwar als vergleichsweise umfangreich verfügbarer fossiler Rohstoff, der zudem vergleichsweise wenig Kohlendioxid pro Kilowattstunde freisetzt, doch sind geopolitische Verschiebungen bereits sichtbar. Großbritannien streitet sich mit Argentinien um die vor der argentinischen Küste liegenden aber von Großbritannien verwalteten Falkland-Inseln, in deren Gebiet Öl und Gas vermutet wird, das derzeit finanzkrisengeschüttelte Zypern wirft ebenfalls potentielle Gasreserven als Verhandlungsmasse in den Raum und wird dabei zum Spielball russischer Interessen. Großbritannien selbst machte sich in den vergangenen Jahren stark abhängig von Flüssiggaslieferungen aus Katar und ist mit seiner Strom- und Wärmeversorgung damit von einem freien Durchgang durch die Seestraße von Hormuz abhängig - die im Konflikt zwischen Iran und den USA eine strategische Schlüsselposition einnimmt. So sehr solche geostrategischen Fragestellungen interessant sind, so wenig hilfreich sind sie für die langfristige Betrachtung: langfristig sind die zurückgehenden Öl- und Gasfördermengen in einzelnen Weltregionen (insbesondere Europa) nur durch postfossile Technologien und Lebensweisen ausgleichbar, was auch die Briten vor die Frage stellen dürfte: Wie heizen wir künftig möglichst ohne Öl und Gas?
Siehe auch:
- Peak Oil: Großbritanniens Ölförderung in 2011 um fast ein Sechstel gesunken (Telepolis 4/2012)
- Energy Trends: Statistiken und Auswertungen des britischen Ministeriums für Energie und Klimawandel
Nachtrag: Ein Tanker mit Flüssiggas aus Katar hat am Sonntag wohl für Entspannung gesorgt, auch ist die belgische Pipeline wieder funktionsfähig.
Tja, imo. wird es wohl eher dazu führen, daß die Fracking Befürworter noch beharrlicher auftreten werden.
Man hörts ja seit Monaten “USA, Fracking, Reindustrialisierung, Hurra…”
Und aktuell (ich schrieb es ja schon) wird Schiefergas als “bessere Energiewende” beworben.
Dies wird auch weitergehen, solange der U.S. Gasboom anhalten wird. (Wie steht es um diesen eigentlich zur Zeit?)
Hoffenlich mal eine Krise, die sich real auch bemerkbar macht. Egal wo und wie. Man kommt sich nämlich mit seinen Energie-Kassandra-Rufen allmählich etwas dämlich vor.
Es macht sich doch schon etwas Bemerkbar wenn du an die Tankstelle fährst zb.
Überleg mal was der Sprit vor 15 Jahren gekostet hat. Richtig Haarig wirds wohl erst in 5 – 20 Jahren werden, kann man schlecht einschätzen.
Aha, man hat auf Speicher verzichtet, weil ja genug im Boden liegt. Das erinnert mich an das Problem mit der Stromversorgung: man hat die Entwicklung der erneuerbaren unterschätzt und sich nicht um die Speicherung des Stroms gekümmert. Und jetzt wird das sogar als Argument dafür genutzt, bei den Erneuerbaren auf die Bremse zu treten, weil die ja nicht grundlastfähig sind.
Von dieser Sorte Missmanagement werden wir noch mehr erleben. Leider.
Interessanter Beitrag, weil er die Mär vom billigen Erdgas in Frage stellt. Auch im Nordosten der USA schießen die Verbraucherpreise für Erdgas derzeit durch die Decke:
http://www.xn--heizlpreise-ufb.org/marktbericht-heizoelpreise-auf-jahrestief-gas-international-sehr-teuer/
Und das trotz Schiefergas-Boom!
Einerseits ist das schlecht für die Verbraucher. Auf der anderen Seite wurde das Gas am Ende so billig, dass es sogar unter Herstellungskosten verkauft wurde. Insofern bekommen jetzt die Inverstoren einen realistischen Preis bezahlt. Vielleicht war das ja der Grund, warum sich nicht alle aus dem Geschäft zurückgezogen haben. Wie dem auch sei, es war auch höchste Zeit, dass den Leuten augenfällig wird, dass das neue Gas teuer ist. Vielleicht schwindet dann ja der Wunderglaube.
@Erdgas:
Liegt daran, daß
1) Die Reserven sich scheinbar schneller aufbrauchen als erwartet.
2) Im Vorjahr die Gasförderung teilweise massiv zurückgefahren wurde bzw. die Förderer auf Schieferöl umgesteigen sind. Der Grund? Die Preise für Gas waren einfach viel zu niedrig um sich zu dauerhaft rentieren und für Öl gelten im Gegensatz zu Gas immer noch Weltmarktpreise.
“Vielleicht schwindet dann ja der Wunderglaube.”
Vorläufig eher unwahrscheinlich, denn auch in den USA wird der Winter im Laufe der nächsten Wochen vorbei sein.
Allerdings häufen sich die kritischen Stimmen zur angeblichen “Energieunanhängigkeit” immer mehr.
http://www.huffingtonpost.com/daniel-davis/domestic-oil_b_2898256.html
Bei uns hingegen scheinen die ÖL und Gasriesen nicht im klaren zu sein was für ein Risikogeschäft Fracking ist und verlangen in jedem zweiten Interview, daß bei uns in Österreich und Deutschland auch gefrackt wird. (Erst am Do. jemand von der OMV. Meinen Vater gefiel der Artikel, bei Peak Oil kommt er immer wieder mit “Wurde schon in den 70ern behauptet…”
Gestern Abend kam online eine die Meldung über die Rettung durch einen Flüssiggastanker.
Ich hatte leider keine Zeit mehr den Link dazu zu stellen.
Hier ist er nachträglich:
UK gas supply pressure eased with arrival of tanker from Qatar
Only two days’ worth of gas supplies in storage late last week as cold snap increases demand for heating and electricty
Fiona Harvey, environment correspondent
The Guardian, Sunday 24 March 2013 17.30 GMT
http://www.guardian.co.uk/environment/2013/mar/24/uk-gas-supply-pressure-eased
Einen Tag später kam dann wohl noch einer und dann gestern am Freitag auch noch mal:
UK gas supply gets little LNG relief as cold bites stocks
By Daniel Fineren
DUBAI | Sun Mar 24, 2013 5:59pm GMT
(Reuters) – Three big Qatari liquefied natural gas (LNG) deliveries should help replenish vital heating supplies for snow-covered Britain this week, but UK gas stocks remain uncomfortably tight with weeks of abnormally cold weather still to come.
http://uk.reuters.com/article/2013/03/24/uk-britain-lng-idUKBRE92N0G020130324
In einer Pressemitteilung der Interconnector Company (Ltd.) wird der Vorfall des Pumpenausfalls vom Freitag den 22. März 2013 näher beschrieben:
FULL FLOW CAPACITY RESTORED
Date: 22 March 2013
…
Flows through IUK’s pipeline were disrupted for a period of 8 hours today.
http://www.interconnector.com/PDF/130322%20IBT%20media%20release%20final.pdf
Es handelte sich also nur um einen geringfügigen Ausfall von 8 Stunden einer (?) Pipeline. Dennoch wurde von Seiten der Medien ein Wirbel gemacht, als wenn die Gasversorgung für längere Zeit ausfallen würde. Dies zeigt wahrscheinlich wie knapp vor dem endültigen Rückgang die Gasversorgung auf den britischen Inseln wohl ist.
Der Bau von Speichern etc. hätte natürlich den Preis für Erdgas merklich erhöht weswegen diese Maßnahmen ständig vor sich hergeschoben wurden.
Danke, Stephan!
[…] lange Winter strapaziert die Erdgas-Läger in Europa. Nachdem Ende März Großbritannien vor einer akuten Gaskrise stand, die ausgelöst durch ein Defekt einer aus Belgien kommenden Pipeline nur durch […]